Der Riss
über einer reglosen Essensschlacht am anderen Ende des Raumes schwebte. Sie fragte sich, ob das wirklich stimmte, was sie Jessica gestern erklärt hatte: Konnte man es bis zur Grenze der blauen Zeit schaffen und am Rand erstarren, bis die lange Mitternacht vorbei war?
Nicht allzu viele Leute würden es so weit schaffen. Nicht bei all den hungrigen Darklingen, die aus der Wüste in die Städte strömen würden. Und wenn die blaue Zeit nie zu Ende ging?
Wenn draußen alle ständig erstarrt und drinnen alle Viehfutter wurden – der größte Teil der Menschheit mit einem Whimper und Rest mit einem Bang ausgerottet wurden?
„Und, Dess?“, fragte Jess, die endlich das Schweigen brach.
Sie riss sich vom Anblick der schwebenden Pommes los.
„Was?“
„In der Bibliothek, was hast du da auf deine Blätter gekritzelt? Du hast gesagt, Halloween wäre sicher. Was ist an dem nächsten Tag falsch?“
„Ach ja.“ Dess senkte den Blick auf die Papiere, die vor ihr lagen und von der Finsternis blau gefärbt worden waren. „Also, verrückt ist, was um Mitternacht an Halloween passiert, wenn man vom alten System zum Neuen wechselt. Der 31.
Oktober war in den alten Zeiten, als der Oktober noch der achte Monat war, ein Antidarklingfest. Jetzt ist November aber der elfte Monat, stimmt’s?“ Dess breitete die Arme aus.
„Mann, ihr seid wirklich hoffnungslos. Es ist also der erste November. Und elf plus eins gibt zwölf. Wie Mitternacht. Wie bei den Darklingen.“
Wieder schwiegen sie alle.
Endlich fragte Jonathan: „Wie lang ist das noch von jetzt an?“
„Dreiundzwanzig Tage, elf Stunden und neununddreißig Minuten“, sagte Dess. „Minus fünfzehn Sekunden.“
„Drei Wochen.“ Jessica sah Rex an. „Und was sollen wir tun?“
Dess sah erfreut, wie er sich über die Augenbraue strich und wenigstens so tat, als ob er einen Plan hätte. Rex’ Hirn mochte völlig durcheinander sein, vielleicht sorgte der bevorstehende Weltuntergang aber für etwas mehr Festigkeit.
„Ich bin noch nicht ganz überzeugt, Dess“, sagte er nach einer Weile. „Ich glaube aber, wir müssen mehr darüber erfahren, was die Grayfoots vorhaben.“
„Wie sollen wir das anstellen?“, fragte Jonathan. „Einfach nach Broken Arrow fahren und sie fragen?“
Er lächelte. „Vielleicht sollten wir sie lieber nach Bixby schaffen.“
Alle starrten ihn an, aber Rex zuckte mit keiner Wimper.
Dess lehnte sich zurück und fragte sich, was Rex ausbrütete.
Beim letzten Mal, als Opa Grayfoot ein Trupp Midnighter in die Quere gekommen war, hatte er dafür gesorgt, dass einhundert prominente Bürger der Stadt über Nacht verschwanden. Vor knapp zwei Wochen hatten die Grayfoots Rex aus seinem Haus gekidnappt und dann in der Wüste liegen gelassen, damit ihm seine Menschlichkeit genommen werden konnte.
Aus irgendeinem Grunde hatte er aber keine Angst vor ihnen. Obwohl Dess keine Gedankenleserin war, konnte sie das sehen. Was war bloß mit ihm los?
Irgendwie komisch, aber seit die Hurengöttin angefangen hatte, sich zusammenzureißen, war Rex im gleichen Zug durchgedreht. Es kam einem so vor, als ob sie alle ihre Portion geistige Gesundheit ausgeschöpft hätten.
„Rex, mal im Ernst“, sagte Jessica leise.
„Ich meine es ernst.“ Er griff in seine Jacke und schleuderte ein Blatt Papier auf den Tisch. Es war mit Zeichen der Lehre bekritzelt. „Diese Nachricht ist von Angie.“
„Von der Irren, die dich gekidnappt hat?“, fragte Jonathan.
„Genau die meine ich.“
„Nee, Rex.“ Dess schüttelte den Kopf. „Warum hast du uns das nicht gleich gesagt?“
„Tut mir leid. Es ist erst gestern Morgen aufgetaucht, und ich war mir nicht sicher, was ich damit anstellen sollte – bis jetzt.“
„Vielleicht verbrennen?“, schlug Dess vor.
Rex ignorierte sie. „Aus Angies Bericht geht hervor, dass die Grayfoots ihre Reihen schließen und Außenseiter wie sie im Regen stehen lassen. Sie ist genauso aufgescheucht wie wir.“
Seine Finger trommelten auf die Tischplatte. „Was bedeutet, dass Dess recht haben könnte.“
„Mit dem Verbrennen?“, fragte Dess.
„Nein, damit, was in drei Wochen passieren wird, und dass die Grayfoots mehr darüber wissen als wir. Deshalb sollte ich mich mit ihr treffen.“
Jonathan starrte entsetzt auf den Zettel, als ob eine Klapperschlange auf die Tischplatte geklatscht wäre. „Bist du bescheuert, Rex? Du willst ihr wirklich vertrauen?“
„Ich traue ihr überhaupt nicht. Ich habe aber über
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