Der Riss
verärgerten Blick zu, sah auf ihre Uhr, dann blickte sie sich vorsichtig um.
Als sie auf den Ford zuging, fiel Rex auf, dass er sie noch nie in der normalen Zeit gesehen hatte. In Bewegung und ohne die wächserne Blässe der geheimen Stunde auf der Haut sah sie nicht viel älter als eine Studentin aus.
Er erinnerte sich, dass er den Motor ausstellen musste. Verzögerungen kamen in Dess’ Berechnungen nicht vor.
„Du kommst zu spät“, sagte sie.
„Tut mir leid. Meine Mom ist vorbeigekommen. Musste mich rausschleichen – morgen ist Schule.“
Ihre Augen verengten sich misstrauisch, aber dann gab sie einen rauchgeschwängerten Seufzer von sich. Ein dezenter Hinweis konnte nicht schaden, dass man zuletzt einen Schüler gekidnappt hatte. Rex hoffte, dass Angie nach dem Anblick der toten Anathea draußen in der Wüste noch einmal darüber nachgedacht hatte, wer ihre Arbeitgeber waren. Hoffentlich hatte sie vom Kinderklau die Nase voll.
„Gut, reden wir“, sagte sie. „Aber in genau zwanzig Minuten bin ich hier weg. Mit mir wirst du nichts von diesem Hexenkram anstellen.“
Rex lachte. „Mit welcher Sorte ,Hexenkram‘ rechnest du denn? Wir sind meilenweit von Bixby entfernt.“
„Stimmt, ich weiß wo die Grenzen sind“, sagte sie. „Aber bevor die Grayfoots die Kommunikation mit mir eingestellt haben, hat Ernesto gesagt, dass sich die Dinge ändern würden.“
Rex nickte. Ernesto war Constanzas Vetter – die Familie wusste eindeutig etwas.
„Das ist richtig“, sagte er. „Steig ein, dann sage ich dir, was wir wissen.“
„Was? Zu dir in ein Auto einsteigen?“
Er sah sie gelangweilt an. „Sei nicht so paranoid, Angie.
Midnight findet immer noch um Mitternacht statt, nicht … “
Er sah auf seine Uhr, als ob er die Sache nicht bis auf die Minute geplant hätte. „Um elf Uhr fünfzehn. Und ich werde nicht in der Kälte herumstehen.“ Er zog am Saum seines TShirts. Es war Jessicas Idee gewesen, keine Jacke anzuziehen.
„Also steig ein.“
Ihr nervöser Blick schweifte wieder über die umliegenden Gebäude. „Gut, aber in mein Auto.“
„Vergiss es“, sagte er. „Meine Reifen oder es gibt keinen Deal.“
Rex erwiderte ihren misstrauischen Blick und fragte sich, ob der letzte Satz zu viel gewesen war. Er hatte ihn auf dem Weg hierher geübt, in unterschiedlichen Betonungen, und sich für eine dramatische Pause zwischen „keinen“ und „Deal“ entschieden. Vielleicht hatte er die Sache aber vermasselt. Der Rest des Plans würde nur funktionieren, wenn Angie in Melissas Auto einstieg.
Als er sie jedoch beobachtete, wie sie darüber nachdachte, spürte Rex, dass seine Befürchtungen einem anderen Gefühl Platz machten – jener Gelassenheit, die ihn überkommen hatte, kurz bevor er aus Timmy Hudson Pudding gemacht hatte.
Jetzt konnte er Angies Angst spüren, konnte sie in ihrem Mienenspiel sehen, und er erkannte, dass sie die Wahrheit über die Grayfoots gesagt hatte, die sie ausgeschlossen hatten. Sie verströmte den verängstigten Geruch eines Menschen, den sein Stamm ausgestoßen hatte und der in der rauen Wüste sich selbst überlassen worden war.
Ein erwartungsvolles Kribbeln durchströmte Rex, die gleiche Erregung, mit der er Cassie Flinders’ Spur in der blauen Zeit gefolgt war. Hier war er der Räuber, nicht dieses Menschenkind.
„Entscheide dich, Angie. Lass mich hier nicht rumsitzen.“
Er entblößte seine Zähne. „Wie schon gesagt: Morgen ist Schule.“
Nach einer langen Pause sagte sie: „Okay. Aber wenn du diesen Motor anlässt, schieb ich dir das hier zwischen die Rippen.“ Stahl blitzte in der Dunkelheit auf.
Beim Anblick des Messers spürte Rex, wie ihm ein Teil seines Räubervertrauens entglitt. Er konnte riechen, dass es aus Wolframedelstahl bestand. Bei der bloßen Berührung würde er verbrennen. Rex wollte nicht daran denken, wie sich die Klinge zwischen seinen Rippen anfühlen musste.
Angie wählte den langen Weg um das Auto herum, überprüfte den Rücksitz auf mögliche Überraschungen. Schließlich öffnete sie die Beifahrertür und stieg ein, mit sich trug sie den Duft nach Angst und Zigarettenrauch.
„Weißt du“, sagte er, „wenn man bedenkt, dass du mich gekidnappt hast, finde ich es ziemlich stark, dass du so tust, als ob ich der Böse wäre.“
Sie schnaubte verächtlich und fuhr sich nervös mit den Fingern durch das blonde Haar. „Erspar mir das. Ich weiß, was ihr Midnighter seid.“
„Was sind wir denn?
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