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Der Riss

Der Riss

Titel: Der Riss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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langes, schmales Oval, das fast genau von Osten nach Westen zeigte.
    Sie zog den GPS-Empfänger aus der Tasche und notierte die Koordinaten in der Mitte. Ziemlich genau auf dem 36. Breitengrad.
    Sechs Uhr dreißig Aufstehen rechtfertigte das vielleicht nicht, aber es war interessant.
    „Okay, gut. Keine Daylighter in der Nähe“, sagte Rex.
    „Das hängt damit zusammen, dass die im Bett liegen“, erläuterte Dess.
    Rex ignorierte sie. „Ich will hier heute ein paar Experimente machen, und ich will, dass ihr alle zuseht. Wenn Samhain kommt, wird ganz Bixby – mindestens – von dieser Kontorsion geschluckt werden. Und wie wir bemerkt haben, hat der Riss nicht genau die gleiche Größe wie die blaue Zeit. Habt ihr alle gesehen, wie in der Midnight die Blätter gefallen sind?“
    „Haben wir“, sagte Dess. „Aber was soll das? Jetzt ist nicht Midnight.“
    „Noch nicht“, sagte Rex.
    „Nein.“ Dess warf einen Blick auf den GPS-Empfänger.
    „Und wird es in den nächsten zweiundsechzigtausendsechshundertfünfzehn Sekunden auch nicht werden. Weshalb mussten wir dann so …?“
    „Au Mann!“, rief Jonathan dazwischen. „Was ist mit Melissa los?“
    Dess drehte sich um und sah, wie der Cadillac über den Acker galoppierte. Er erklomm den Bahndamm und nahm die Schienen in die Mitte, Schotter und Staub stoben unter den Reifen auf, als er wie ein frenetischer, pinkfarbener Güterzug mit flackernden Scheinwerfern darauf entlangraste.
    „Ist die übergeschnappt?“, rief Dess.
    „Keineswegs“, sagte Rex mit einem Blick auf seine Uhr. „Sie liegt genau in der Zeit. Wir sollten aber vielleicht beiseitetreten.“
    Die vier schlidderten den Bahndamm hinunter, und der Cadillac schien dazu zustimmend zu röhren, beschleunigte und schoss vorwärts, die Reifen wirbelten eine riesige Staubwolke auf.
    Dess spürte ein Kribbeln in ihren Fingern, stärker als in der Cafeteria, und plötzlich wusste sie, was geschehen würde.
    „Sie kommt wieder“, sagte sie leise.

    „Du hast es erfasst“, antwortete Rex.
    Dess sah erschrocken zu dem rasenden Cadillac hoch. „Sie wird aber doch nicht …?“
    Das Tintenblau der Finsternis strich von Osten heran, über den wolkenlosen Himmel und freie Felder, brachte den eisigen Wind zum Erliegen und bedeckte die Welt mit Stille. Der dunkle Mond schoss am Himmel auf wie eine riesige, fliegende Untertasse.
    Der Cadillac rollte dennoch in dem rot getönten Oval des Risses weiter.
    Der Motor ging aus, die Scheinwerfer wurden dunkel, er erstarrte aber nicht wie erwartet. Der Wagen trieb weiter, bis er schließlich in einem Staub- und Schotterregen rutschend zum Stehen kam.
    Dess nahm den Anblick blinzelnd in sich auf: Der pinkfarbene Cadillac hatte Melissa nicht durch die Windschutzscheibe geschleudert, weil er seinen Schwung behalten hatte.
    „Ist sie dadrinnen okay?“, fragte Flyboy.
    Rex nickte. „Es geht ihr gut. Wie ich vermutet hatte, befördert der Riss alles in die blaue Zeit, nicht nur Leute. Ich nahm an, wenn tote Blätter immer noch fallen konnten, dann würde auch totes Metall rüberkommen.“
    „Du hattest verdammtes Schwein, dass du richtig vermutet hast.“ Dess machte sich nicht mehr viel aus Melissa, sie wünschte sie aber auch nicht ins Krankenhaus zurück. Die Narben, die sie behalten hatte, waren unheimlich genug.
    „Sie war angeschnallt“, sagte Rex gelassen.
    „Moment mal, Rex“, sagte Dess. „Woher wusstest du, dass es eine Finsternis geben wird?“
    Er schwieg eine Weile, und seine violetten Augen verengten sich. „Es gibt ein Muster. Ich kann sie kommen sehen, jede einzelne zwischen jetzt und Samhain. Diese hier müsste ein bisschen länger dauern.“
    „Du kannst ein Muster sehen?“, rief Dess. „Dann schreib es für mich auf!“
    Er schüttelte den Kopf. „Ich kann es nicht in Zahlen ausdrücken, ohne dass mir der Kopf platzt. Aber sie kann es dir geben.“ Er deutete auf den Cadillac.
    Die Fahrertür öffnete sich, und Melissa stieg aus, mit einem breiten Grinsen von einem Ohr zum anderen. „Das war cool!“
    Dess schüttelte den Kopf. Nie wieder würde Melissa sie berühren.
    „Ich dachte, du hättest Angst vor schnellem Fahren“, sagte Jessica.
    Die göttliche Hure zuckte mit den Schultern. „Man muss sich seinen Ängsten stellen, um sie zu bewältigen, Jess. Das hat mir Rex kürzlich erklärt.“
    „Ihr seid beide bescheuert“, sagte Dess leise.
    Rex zog eine Augenbraue hoch. „Bei diesem Experiment ging es nicht nur um den Kick, Dess.

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