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Der Rosenmord

Der Rosenmord

Titel: Der Rosenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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bewerkstelligt worden, was aber offenbar nicht der Fall war. Judith hatte es bezeugt, und das würde wahrscheinlich auch Vivian Hyndes Mutter tun. Nachdem das Abkommen zwischen Entführer und Entführter getroffen war, hatte man Judith zu ihrer Bequemlichkeit in ein Haus gebracht, das auf der Suche nach ihr bereits durchsucht worden war, während man den versteckten Raum im Lagerhaus in aller Eile, aber gründlich von allen Spuren ihrer Gegenwart befreite. So weit, so gut! Doch jemand hatte gelauscht. Zuerst Bertred, dann wahrscheinlich noch ein zweiter, falls Vivian nicht inzwischen in einem Geisteszustand war, in dem ihn schon das Rascheln einer Maus im Gebälk erschreckte. Jemand hatte wahrscheinlich den Plan belauscht, und das Pferd mit der doppelten Last hatte außer Niall, dem Bronzeschmied, noch einen zweiten Verfolger gehabt. Damit hatte sich ein schrecklicher Kreis geschlossen, zumal derjenige, der ihn begonnen hatte, auch der war, der ihn zu beenden suchte.
    Man bedenke nur, grübelte Cadfael, während er sich eigentlich hätte mit entrückteren, zeitlosen Dingen beschäftigen müssen, welch erstklassigen Sündenbock Vivian Hynde abgibt, wenn es darum geht, den zu finden, der Judith im Wald angegriffen hat. Der Mann, der sie entführt und vergeblich zu einer Heirat zu überreden versucht hatte, ritt des Nachts mit ihr in den Wald, mißtraute ihrem Versprechen, ihn nicht zu verraten, setzte sie ab, ritt weiter, stieg vom Pferd und eilte zu Fuß zurück, um sie zu töten. Zwar hatte Judith ihn entlastet, als sie erklärte, er sei gewiß nicht zurückgekehrt, sondern in aller Eile nach Hause geritten. Aber was, wenn der Mordversuch erfolgreich verlaufen wäre? Wenn Judith tot und unfähig, eine Aussage zu machen, im Wald gelegen hätte?
    Da war schon vor dem Mord ein ausgezeichneter Sündenbock ausgewählt worden, dachte Cadfael. Wie, wenn auch für den ersten Mord einer ausgewählt worden war? Nicht davor, weil dieser Mord nicht geplant war, sondern erst danach? Ein Sündenbock, der hilflos, gedemütigt und überführt dem Henker vorgeführt werden konnte? Dem seine Nützlichkeit sofort anzusehen war, da er bereits mit seinem Tod rechnete?
    Kein Zufall war es, sondern die bittere, ironische Konsequenz der vorhergehenden Ereignisse.
    Und das ganze komplizierte Geflecht hing von zwei linken Schuhen ab, die er noch nicht einmal gesehen hatte. Je älter, je besser, hatte er erwidert, als Magdalena ihn klug und nicht sonderlich überrascht nach Einzelheiten gefragt hatte. Sie müssen gut eingelaufen sein, hatte er erklärt. Nur reiche Menschen besaßen mehrere paar Schuhe, aber einer der Träger, an die er dachte, konnte von seinem Besitz keinen Gebrauch mehr machen, und der zweite hatte sicher mehr als ein Paar. Nicht die neuen, hatte Cadfael entschieden gesagt, obwohl er gewiß neue Schuhe hat. Seine ältesten wird er kaum vermissen.
    Die Vesper war vorbei, und Cadfael nahm sich die Zeit, noch vor dem Abendessen seine Werkstatt im Herbarium aufzusuchen, falls der Junge dort auf ihn wartete. Der Sohn des Tischlermeisters wußte hier Bescheid, da sie sich bereits seit einigen Jahren kannten, und er würde Cadfael gewiß im Garten zuerst suchen. Doch in der Hütte war alles still und ruhig. Ein Weinkrug blubberte gemächlich in langsamem, schläfrigem Rhythmus auf der Bank, die getrockneten Kräuterbündel raschelten draußen unter der Traufe und drinnen am Balken, die Kohlenpfanne war gelöscht und kalt. Dies waren die längsten Tage des Jahres. Draußen war es noch fast so hell wie am Nachmittag. Erst in einer Stunde würde der Sonnenuntergang beginnen und alles in grünliches Zwielicht tauchen.
    Noch nichts. Er schloß die Tür seines kleinen Königreichs und ging zum Abendessen ins Refektorium, wo er ohne Entgegnung und Widerworte Bruder Jeromes salbungsvolle Vorwürfe über sich ergehen ließ, da er einen Augenblick zu spät gekommen war. Instinktiv gab er eine versöhnliche Antwort. Wahrscheinlich war im Haus in der Maerdol Straße noch alles auf den Beinen, so daß Schwester Magdalena ihren Raubzug doch nicht so leicht und rasch ausführen konnte, wie er gehofft hatte. Egal! Was sie in die Hand nahm, brachte sie erfolgreich zu Ende.
    Die Collatio ließ er aus, doch er ging pflichtbewußt zur Komplet. Immer noch nichts. Danach zog er sich abermals in seine Hütte zurück, die immer eine sehr gelegene Entschuldigung bot, wenn er nicht dort war, wo er dem Tagesplan nach hätte sein müssen. Es war schon dunkel,

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