Der Rosenmord
auf dich.«
Als der Junge fort war, blieb Cadfael mit unbefriedigter Neugierde ruhig und schweigend sitzen und ließ allmählich die Gedanken Raum gewinnen, gegen die er den ganzen Tag unwillkürlich gekämpft hatte. Der Mörder, der jetzt so überzeugt von seiner Geschicklichkeit war und sich für unangreifbar hielt, würde nicht aufgeben. Nachdem er soviel erreicht hatte, würde er nicht kehrt machen. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. Er konnte es nicht wissen, aber er hatte nur noch diese eine Nacht. Da Judith nun daheim war und Schwester Magdalena ihr Gesellschaft leistete, konnte er nichts gegen sie unternehmen.
Er würde wohl den richtigen Augenblick abwarten, denn er konnte ja nicht wissen, daß morgen alles vorbei sein würde.
Cadfael fuhr so heftig auf, daß die Lampe flackerte. Nein, nicht gegen Judith! Aber wenn er sich so sicher fühlte, dann hatte er die ganze Nacht Zeit, um sich das Haus in der Vorstadt zu sichern. Morgen sollte die Rose übergeben werden, und danach wäre Anspruch der Abtei für ein weiteres Jahr unanfechtbar. Auch wenn Judith nicht gefährdet war, der Rosenstrauch war es.
Er schalt sich einen abergläubischen Narren und sagte sich, daß niemand, nicht einmal ein Verbrecher, der durch seine Erfolge zugleich in Sicherheit gewiegt und von sich selbst eingenommen war, so bald schon einen neuen Anschlag wagen würde. Aber kaum hatte er die Gedanken zu Ende gedacht, da war er schon halb durch den Garten gelaufen und eilte über den großen Hof zum Torhaus. Hier auf vertrautem Boden war die Dunkelheit kein Hindernis, und der Nachthimmel war klar. Man konnte in der mitternächtlichen Schwärze einige Sterne wie Nadelspitzen erkennen. Die Hauptstraße draußen war still, nichts rührte sich, außer einigen Katzen in den Gassen.
Irgendwo voraus in der Nähe der Ecke der Abteimauer am Pferdemarkt lag hinter den Hausdächern ein kleiner, zitternder Schein am Himmel. Das Flackern ließ die Häuser als schwarze Silhouetten erscheinen, um sie im nächsten Augenblick wieder mit der Dunkelheit verschmelzen zu lassen. Cadfael begann zu laufen. Dann hörte er, fern und gedämpft, viele aufgeregte Stimmen rufen, und plötzlich wurde der Glanz von einer gewaltigen Flamme überlagert, die in den Himmel sprang, während Holz und Dornen knisternd brannten. Die zuvor gedämpften Stimmen wurden lauter, Männer und Frauen schrien durcheinander, und das Gebell der Vorstadthunde hallte zwischen den Mauern.
Türen wurden aufgerissen, Männer stürzten auf die Straße, zogen sich im Laufen Hosen und Mäntel an und rannten aufgeregt zum Brand. Fragen flogen hin und her und blieben unbeantwortet, weil niemand die Antworten kannte. Cadfael traf mit den anderen am Tor zu Nialls Hof ein, das schon weit offen stand. Hinter der Gartenpforte loderte das Feuer, und die Flammenzungen erhoben sich über die Mauer, zischten hoch in einem Wirbelsturm aus heißer Luft und tanzenden Ascheflocken, die droben in der Dunkelheit verschwanden. Gott sei Dank, dachte Cadfael, als er die Flammen senkrecht aufsteigen sah, geht kein Wind. Das Feuer kann das Haus und die Werkstatt des Hufschmieds nebenan nicht gefährden. Und da es so wild und lärmend brennt, wird es sich rasch verzehren.
Als er durch die Pforte trat, wußte er bereits, was er sehen würde.
Vor der Rückwand stand der Rosenstrauch als gewaltige Flammenkugel, fauchend wie ein Schmelzofen und knisternd wie brechende Knochen, während die Dornen in der Hitze spuckten und zuckten. Das Feuer hatte auf den alten Weinstock übergegriffen, doch daneben war nichts weiter an der Steinmauer, das dem Brand neue Nahrung geben konnte.
Die Obstbäume waren weit genug entfernt und würden überleben; höchstens die nächstgelegenen Äste würden versengt werden. Vom Rosenbusch aber würde nichts übrigbleiben als ausgebreitete schwarze Arme und weiße Holzasche.
Vor der blendenden Helligkeit der Flammen tanzten hilflose Gestalten herum und zogen sich wegen der Hitze wieder zurück. Aus sicherer Entfernung geworfenes Wasser explodierte dampfend und verpuffte unter lautem Zischen, ohne etwas auszurichten. Nach dem ersten Versuch, das Feuer zu löschen, blieben die Menschen mit Eimern in den Händen einfach stehen und sahen zu, wie der alte, knorrige Stamm, der so viele Jahre Blüten getragen hatte, im Todeskampf knackte und stöhnte.
Niall war bis zur gegenüberliegenden Mauer zurückgewichen und starrte mit schmutzigem, entmutigtem Gesicht und zusammengezogenen Augenbrauen ins
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