Der Rosenmord
die Liebe wohnt, fügte Cadfael in Gedanken hinzu, als er vernahm, wie die sonst so kontrollierte Stimme plötzlich einen energischen, lebhaften Unterton bekam und wie das bleiche, müde Gesicht hell und froh wurde. Niall also war bei ihr gewesen, als es auf Leben oder Tod gegangen war.
»Jetzt habe ich Euch alles berichtet«, sagte sie. »Was wollt Ihr nun tun? Ich versprach, ihn – den Mann, der mich entführte – nicht anzuzeigen. Ich will ihm nichts Böses. Wenn Ihr ihn faßt und anklagt, werde ich nicht als Zeugin gegen ihn sprechen.«
»Soll ich euch sagen«, gab Hugh sanft zurück, »wo er jetzt gerade ist? Er sitzt in einer Zelle auf der Burg. Keine halbe Stunde, bevor Cadfael zu mir kam, ritt er zum Osttor hinein, und wir schafften ihn ins Gefängnis, bevor er wußte, wie ihm geschah. Er wurde noch nicht befragt und noch nicht angeklagt, und niemand in der Stadt weiß, daß wir ihn haben. Ich kann ihn gehen lassen oder ihn bis zur Gerichtsverhandlung festhalten.
Ich verstehe Euren Wunsch, Euer Wort zu halten und die Angelegenheit zu begraben. Es bleibt aber noch die Frage, was mit Bertred geschehen ist. In der Nacht, als Ihr Eure Pläne geschmiedet habt, war auch Bertred unterwegs …«
»Cadfael hat es mir erzählt«, antwortete sie wachsam.
»Es war die Nacht seines Todes, was ein Zufall sein kann oder auch nicht. Er ist herumgestrolcht und hatte die Absicht, einzubrechen – wollen wir sagen, um etwas oder jemand zu stehlen? Und es ist möglich, daß jemand nachgeholfen hat, damit er im Fluß ertrank.«
Judith schüttelte entschieden den Kopf.
»Nicht der Mann, den Ihr gefangenhaltet. Ich weiß es, weil ich bei ihm war.« Sie biß sich auf die Unterlippe und dachte einen Augenblick nach. Kaum etwas war unausgesprochen geblieben, abgesehen von dem Namen, den sie nicht nennen wollte. »Wir waren beide dort drinnen, wir hörten den Sturz, aber da wußten wir nicht, was geschehen war. Wir hatten draußen leise Geräusche gehört, aber wir waren nicht sicher.
Später hörten wir noch einmal etwas. Inzwischen waren wir so verängstigt, daß er bei jedem Rascheln vor Angst erstarrte.
Aber er verließ mich nicht. Was immer mit Bertred geschah, er hatte nichts damit zu tun.«
»Das soll mir als Beweis reichen«, erklärte Hugh zufrieden.
»Nun gut, Ihr sollt Euren Willen bekommen. Niemand soll mehr erfahren, als Ihr freiwillig erzählen wollt. Aber bei Gott, er soll wissen, was für ein Wurm er ist, bevor ich ihn aus der Zelle werfe und ihn mit einem Fußtritt nach Hause schicke. Das werdet Ihr mir sicher verzeihen, denn er kann immer noch von Glück reden, wenn er so leicht davonkommt.«
»Großes Gewicht hat er tatsächlich nicht«, gab sie gleichgültig zurück. »Er ist nur ein dummer Junge. Aber er ist kein Schurke und noch jung genug, um sich zu ändern. Doch was ist nun mit Bertred? Bruder Cadfael sagte mir, daß er den jungen Mönch getötet habe. Das verstehe ich nicht. Ich begreife auch nicht, warum Bertred selbst sterben mußte. Niall sagte mir gestern abend, was nach meinem Verschwinden in der Stadt geschehen ist. Doch von Bertred erzählte er mir nichts.«
»Wahrscheinlich hat er es nicht gewußt«, erklärte Cadfael.
»Wir hatten ihn erst am Nachmittag gefunden, und obwohl die Gerüchte natürlich durch die Stadt flogen, nachdem er hergebracht wurde, gelangten sie wahrscheinlich nicht bis zu Niall in die Vorstadt. Ich selbst habe ihm nichts erzählt. Wie kam es, daß er so nahe an Godric’s Ford zur Stelle war, als Ihr ihn brauchtet?«
»Er sah uns vorbeireiten«, erwiderte Judith, »bevor wir in den Wald eindrangen. Er war auf dem Heimweg, doch er erkannte mich und folgte uns. Wie gut für mich! Niall, der Bronzeschmied, war immer gut zu mir, sooft oder so selten wir uns trafen oder uns begegneten.«
Hugh stand auf, um sich zu verabschieden. »Ich schicke Alan mit einer Patrouille in den Wald und lasse die Gegend absuchen. Wenn es da wirklich ein Nest mit wilden Männern gibt, dann werden wir es ausräuchern. Madam, nichts, was hier gesagt wurde, soll nach draußen dringen. Die Angelegenheit ist beigelegt, wie Ihr es wünschtet. Und Gott sei Dank nahm sie kein schlimmes Ende. Ich glaube, Ihr braucht nun etwas Ruhe.«
»Nur was Bertred angeht, bin ich nicht beruhigt«, wandte Judith ein. »Auch von seiner Schuld bin ich nicht überzeugt, und sein Tod wirft Fragen auf. Er war ein guter Schwimmer, denn er wuchs am Fluß auf. Warum sollten ihn seine Fähigkeiten ausgerechnet in jener
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