Der Rosenmord
kann mich genau erinnern, wie könnte ich so etwas nach einem solchen Tag vergessen? Es war jener Abend. Du hast sogar gesagt, daß Bertred fast schon barfuß ginge, und es hinterließe doch für unser Haus einen schlechten Eindruck, wenn wir ihn so schlecht beschuht auf Botengänge schickten …«
Sie erzählte, wie sie immer erzählte, und achtete kaum auf ihre Umgebung. Doch allmählich dämmerte ihr, daß ihr Sohn stand wie ein Eisblock, das Gesicht fast so bleich wie die kalten blauweißen Augen, die ohne Liebe, ohne Wärme auf sie gerichtet waren. Eiskalt waren sie und brannten doch vor wildem Haß. Freundlich und albern stammelte sie noch einige Silben, dann verstummte sie. Sie hatte ihm nicht geholfen, sondern ihn in ihrer blinden, egoistischen Unschuld ausgeliefert.
»Vielleicht«, sagte sie verzagt mit bebenden Lippen und suchte nach freundlichen Worten, um diesen Ausdruck aus seinem Gesicht zu vertreiben, »vielleicht habe ich mich doch geirrt – ich habe mich sicher geirrt …«
Es war zu spät, um ungeschehen zu machen, was sie angerichtet hatte. Tränen drangen in ihre Augen und machten sie blind für das kristallene, blaue, haßerfüllte Starren ihres Sohnes. Judith riß sich aus ihrem verwirrten, erschreckten Schweigen und ging rasch zu ihrer Tante, um ihr einen Arm um die zitternden Schultern zu legen.
»Mylord, ist das denn so wichtig? Was hat das zu bedeuten?
Ich verstehe es nicht. Bitte erklärt es mir!« Es war so schnell gegangen, daß sie den Worten nicht recht gefolgt war, sie hatte die Bedeutung kaum verstanden. Doch als sie ihre Frage ausgesprochen hatte, kam die Erleuchtung wie ein Messerstich.
Sie erbleichte und erstarrte, blickte von Miles, der verbittert schweigend dastand, zu Bruder Cadfael, der sich etwas abseits hielt, von Cadfael zu Schwester Magdalena, von Magdalena zu Hugh. Ihre Lippen bewegten sich stumm, sagten: »Nein! Nein!
…«
Sie waren in ihrem Haus, hier war sie die Herrin. Gefaßt wandte sie sich an Hugh. »Mylord, ich glaube, es ist nicht nötig, meine Tante weiter zu belasten. Diese Angelegenheit können wir in aller Ruhe unter uns erörtern und beilegen. Tante, geh in die Küche und hilf Alison. Sie hat viel zu tun, und dies ist ein unglücklicher Tag für sie. Du solltest sie nicht alles allein tragen lassen. Ich will dir später alles berichten, was du wissen mußt«, versprach sie, und wenn die Worte eine halbe Drohung enthielten, dann überhörte Agatha sie. Halb beruhigt und halb verängstigt verließ sie in Judiths Arm den Raum. Dann kehrte Judith zurück und schloß hinter sich die Tür.
»Jetzt können wir frei sprechen. Mir ist inzwischen klar, was dies zu bedeuten hat. Ich weiß, daß zwei Menschen sich an ein zurückliegendes Ereignis erinnern und ganz unterschiedlich darüber berichten können. Von Bruder Cadfael weiß ich, daß die Stiefel, die Bertred trug, als man ihn ertrunken fand, genau zu jenem Abdruck passen, den Bruder Elurics Mörder im Erdreich unter dem Weinstock hinterließ, als er über die Mauer kletterte. Also bleibt zu klären, Miles, wer an diesem Abend die Stiefel trug – du oder Bertred.«
Miles schwitzte heftig, sein Körper verriet ihn. Auf der wachsbleichen, eiskalten Stirn sammelten sich dicke, zitternde Schweißtropfen. »Ich habe es doch gesagt, ich habe sie Bertred schon vor langer Zeit geschenkt …«
»Es kann nicht lange her sein«, schaltete Bruder Cadfael sich ein, »denn er hat ihnen noch nicht sein Zeichen eingetreten.
Die Stiefel wurden von Euch eingelaufen, nicht von ihm. Ihr werdet Euch sicher an den Wachsabdruck erinnern, den ich nahm. Ihr habt es gesehen, als Ihr Frau Perle beim Bronzeschmied abgeholt habt. Ihr habt sofort vermutet, was da geschah und was es zu bedeuten hatte. Wie Eure Mutter aussagte, habt Ihr noch am gleichen Abend Eure Stiefel Bertred geschenkt. Der nichts mit der Angelegenheit zu tun hatte, der wahrscheinlich nicht befragt werden würde und dessen Besitz nicht überprüft werden würde.«
»Nein!« schrie Miles und schüttelte heftig den Kopf. Die schweren Tropfen flogen von seiner Stirn. »Nein, nicht an diesem Abend. Nein! Nein! Es war lange vorher! Nicht an diesem Abend!«
»Eure Mutter nennt Euch einen Lügner«, wandte Hugh leise ein. »Und seine Mutter wird es ebenfalls tun. Es wäre an der Zeit, ein volles Geständnis abzulegen, denn das könnte man Euch anrechnen, wenn es zur Verhandlung kommt. Und eine Verhandlung wird es geben, Miles! Wegen des Mordes an Bruder Eluric
Weitere Kostenlose Bücher