Der rostende Ruhm
Teschendorff aber verband sich der Gedanke an das St.-Emanuel-Krankenhaus. Was wollte Dr. Bergh in dieser Klinik?
»Schreiben Sie: ›Dr. Bergh – Chefarzt in St. Emanuel?‹ – Über drei Spalten hinweg!« diktierte der Chefredakteur. Gabriele Orth schüttelte den Kopf.
»Das wissen wir doch noch gar nicht.«
»Darum kommt ja auch ein Fragezeichen dahinter. Die Presse muß immer einen Herzschlag den Dingen voraus sein. Man hat so ein Gespür dafür.«
Und während in der Setzerei die Schlagzeile bereits gesetzt wurde, saß Dr. Bergh im neu eingerichteten Chefarztzimmer des St.-Emanuel-Krankenhauses Josef Teschendorff und Baron v. Boltenstern gegenüber.
Seitlich von ihm, in einem hellroten, modernen Sessel, saß mit vorgestreckten, schlanken Beinen Brigitte Teschendorff. Die Sonne, die durch das breite Fenster und von der Gardine in Streifen zerlegt ins Zimmer schien, durchzog ihre kastanienfarbenen Haare wie goldene Irrlichter.
Brigitte Teschendorff hatte die Hände über die Knie gefaltet und sah mit leicht geneigtem Kopf zu Dr. Bergh hinüber, der hinter dem Schreibtisch saß, als hätte er den Platz des Chefarztes schon eingenommen. Sie empfand mit der Aufnahmebereitschaft einer erlebnishungrigen Frau die starke Männlichkeit dieses Arztes. Sie beobachtete seine ergrauenden Schläfen, sein schmales Gesicht, seine hellen, schönen Augen mit jenem Interesse, wie man ein Bild, eine Skulptur oder auch nur einen Pelzmantel oder ein großes Abendkleid ansieht und den Wunsch empfindet, von ihm Besitz zu ergreifen.
»Wir gehen gleich durch das Haus«, sagte Teschendorff. Er rauchte eine Zigarre und nippte an dem Cognac, den eine junge Schwester mit einem langen Blick auf Dr. Bergh hereingebracht hatte. »Ihr erster Eindruck, Herr Doktor? Darf man ihn wissen?«
Dr. Bergh hob die Schultern. Der erste Eindruck? Ein Krankenhaus wie alle anderen Krankenhäuser. Der gleiche Desinfektionsgeruch, die gleichen weißen Gänge, weißen Türen mit den Ruflampen, weißen Kittel der Schwestern und weißen Gesichter der Patienten, die aus dem Fahrstuhl, noch narkotisiert, röchelnd oder schnarchend über die Gänge gerollt wurden.
»Warum fragst du Dr. Bergh, wo er noch gar nichts gesehen hat?« Brigitte Teschendorff lächelte zu Dr. Bergh hinüber. Es war ein katzenhaftes Lächeln, ein Schnurren in dem schmalen, hochmütigen Gesicht, in dem die Augen groß und hungrig brannten. »Ich glaube, daß Sie nach dem Rundgang sagen werden: Hier bleibe ich.«
Sie betonte das alles eine Nuance zuviel. Dr. Bergh wandte sich zu Teschendorff und Baron v. Boltenstern. Sie lächelten und nickten.
»Gehen wir«, sagte Dr. Bergh ernst.
Sie besichtigten das Krankenhaus systematisch vom Keller bis unter das Dach. Der Oberarzt erklärte, die nach dem Weggang wieder zu ihren Stationen geeilten Ärzte und Schwestern führten Dr. Bergh wie bei einer großen Visite von Bett zu Bett und berichteten knapp und umfassend – es war ein gut eingespielter Betrieb, halb militärisch wie in allen Kliniken, diszipliniert und reibungslos.
Und doch sah Dr. Bergh Dinge, die ihn erschrecken ließen und die sich seiner Idealvorstellung von einer vollkommenen Klinik scharf entgegenstellten. Steif sagte Dr. Bergh:
»Sie ermutigen mich nicht, eine Zusage zu geben.«
»Ich darf Ihnen versichern, daß sich alles ändern wird. Wir erwarten Ihre Liste mit Ihren Abänderungsvorschlägen.«
»Die dürfte Sie erschrecken, meine Herren.«
»Es geschieht zum Wohle der Menschheit«, sagte Baron v. Boltenstern pathetisch.
»Wir haben dreihundertsechsundfünfzig Patienten …«
Dr. Bergh verstand die Bitte, die in diesen Worten lag.
Am Nachmittag unterschrieb er mit festem, klarem Schriftzug seinen Vorvertrag als Chefarzt.
Am zweiten Abend nach der Vertragsunterzeichnung kam Brigitte Teschendorff zu Dr. Bergh.
Sie schob die sie anmeldende Erna einfach zur Seite und trippelte in das Arbeitszimmer. »Sie brauchen mich nicht anzumelden«, sagte sie zu der Haushälterin. »Ich bin keine Fremde mehr. Sie werden es von heute ab merken.«
Bergh war mit der Auswertung einer Mikroskopreihe beschäftigt, als Brigitte Teschendorff eintrat. Verwirrt, aus seinen Gedanken gerissen, blickte er auf und streifte die Handflächen an seinem weißen Arztmantel ab.
»Gnädige Frau? Sie?« Er strich sich über die etwas in Unordnung geratenen Haare.
»Lassen Sie nur. Es steht Ihnen gut. Zerwühlte Haare …« Sie lachte ihn an, schob Erna aus der Tür und schloß sie hinter ihr.
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