Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
Zug von Männern, Frauen und Kindern schleppte sich langsam und lautlos die ansteigende Höhe hinauf zur Südhöhe. Nur raus aus Dresden, der brennenden Hölle. Nur das Schlurfen der Füße und ab und zu ein Aufschluchzen, ein Aufschreien waren zu hören. Und wie sahen diese Menschen aus!
Viele hatten nasse Decken über den Schultern, so waren sie durch die Flammen gerannt. Rußgeschwärzt waren sie alle. Groteske Gestalten in Harlekinkostümen oder Königinnengewändern, als Kammerkätzchen verkleidet oder in bunten Flitterkostümen gingensie im Zug mit. Am 13. Februar war das größte Faschingsfest in Dresden. Viele Dresdner waren an diesem Tag im Cirkus Sarrasani. Dieser Cirkus hatte ein großes festes Gebäude in Dresden-Neustadt, direkt an der Elbe gelegen. Andere waren bei Freunden eingeladen gewesen oder hatten in einem der vielen Vergnügungslokale Fasching gefeiert. So kam es, daß viele Kinder an diesem Tag allein zu Hause geblieben waren. Erschütternde Szenen haben sich abgespielt.
Meine Eltern hatten Eimer voll Wasser an unsere Straße gestellt. Es gab kein Trinkwasser mehr. Sämtliche Leitungen waren zerbombt. Wie alle hatten auch wir unsere Badewanne bis oben mit Wasser gefüllt. Das war eine Anordnung vom Luftschutz. Außerdem hielten wir Eimer voll Sand, eine primitive Feuerpatsche und Decken bereit. Ich erinnere mich an den Anfang eines Liedes, das damals gesungen wurde:
»Wer gibt acht in der Nacht, wenn die Fliegerbombe kracht. Der Luftschutz, der Luftschutz mit ’nem Eimer Sand rettet er das Vaterland...«
Zu Tode erschöpfte Gestalten wankten in unser Haus, nur ausruhen wollten sie. Auch vier rauchvergiftete Soldaten befanden sich unter ihnen. Frauen, Männer und Kinder, es mögen 50 Menschen gewesen sein, lagen wild verstreut in den Zimmern. Wir öffneten unser eingemachtes Obst. Jürgen verteilte es.
Dresden Otto Griebel 1895–1972
Jack erwachte frierend, und da nun tatsächlich Morgen geworden war, beschlossen wir, weiterzugehen. Auf des Sohnes Wunsch hin gingen wir in Richtung Strehlen, um Freunde in Gostritz aufzusuchen, von
denen wir annahmen, daß sie mehr Glück gehabt hatten als ich mit meiner Familie.
Grausig war die Fastnacht, ebenso war auch der Aschermittwoch, in den wir nun hineinschritten. Sprengtrichter, Trümmer, Brandstätten überall. Stabbrandbomben und rotgespritzte Oberteile von Zielabsteckungsbomben lagen wie gesät umher. Dazwischen wandelten fliehende Menschen, manche kaum mit dem Nötigsten angetan, manche schwer beladen mit ihrer letzten Habe. Ein älterer Mann aus unserem Viertel gesellte sich zu uns und erzählte ohne Tränen, daß ihm die Frau, welche kranke Füße hatte, vor den Augen im Keller verbrannt sei, ohne daß er ihr helfen konnte.
Schmuckschränkchen mit geschliffenen Scheiben, hinter denen Porzellangeschirr und Nippes durcheinandergeworfen lagen, standen am Straßenrande. Ein halbes Dutzend ausgeglühter Schreibmaschinen, Wannen voller Hausrat, Bücher, Kleider, alles mögliche sah man herrenlos am Wege liegen.
Es tat mir förmlich wohl, hinter der Strehlener Kirche durch fast unbeschädigte Siedlungshäuser nach Leubnitz zu marschieren, dessen alte, schöne Dorfstraße auch demoliert war und dessen Häuser meist abgedeckte Dächer hatten.
Endlich kamen wir nach Gostritz und traten in des Haus meines lieben Freundes Erich Fraaß ein. Wir hatten das Glück, dessen Frau nebst Bekannten, die hierher geflüchtet waren, eben in dem Augenblick anzutreffen, als sie sich außer Haus begeben wollten.
»Wer ist denn das?« fragte Frau Fraaß ihre Bekannten, als ich vor ihr stand und ihr die Hand entgegenstreckte.Als ich meinen Namen sagte, brach sie stumm im Tränen aus und führte uns nach oben in die Stube, welche ebenso wie die übrige Wohnung auch keine Fensterscheiben mehr aufwies, denn in der Nähe waren ebenfalls Serien von schweren Bomben niedergegangen.
Zuerst wurden nun meine heftig brennenden Augen mit Borwasser behandelt, dann bekamen wir Brot und Kaffee, und tatsächlich gelang es Jack und mir, nun ein wenig zu schlafen.
Dann erst wuschen wir uns die verrußten Gesichter und wanderten, da schon wieder Luftgefahr angesagt war, gemeinsam mit den anderen über Gostritz dem winterlich stillen Heiligen-Born-Grund zu. Hinter uns stiegen die mächtigen Qualmwolken der gemordeten Stadt Dresden in den grauen Himmel dieses unvergeßlichen Aschermittwochs. Noch immer zuckten die roten Brände inmitten der tristen Trümmerwüste. Am Zaun einer
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