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Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Titel: Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Gewitterschrecken ins Dämonische, höllische, verstärkt – Bellevue vernichtet Benvenuto kam von dort zu Fuss hierher (Weidner)
    Lieber an jeder Front: hier ist Mut ohne Widerstand der sogenannte passive Mut.
     
    Dippoldiswalde Die Hauswirtschaftslehrerin Herta Daecke
    Ich gehe mit Völkers zusammen durch die Bergstraße und überquere den Sedanplatz, Münchner Straße und denke: im Stadtgut kann man sich erstmal waschen und eine Tasse Kaffee trinken. Aber je weiter man geht, desto mehr wird einem klar, daß nicht nur das Viertel kaputt ist, sondern, daß es weiter um sich greift. Selbst die stabilen großen Steinhäuser der Münchner Straße sind verbombt und brennen alle noch. Man kommt vor Rauch kaum weiter. Als wir an den Stadtrand kommen – da liegen all die obdachlosen Menschen des Viertels in Haufen mit ihren Bündeln in furchtbarem Aufzug, ein Bild des Jammers und des Elends. Erst jetzt wird einem das Massenelend klar – die ungeheure Ausdehnung – der Menschheit ganzer Jammer packt einen und die Verzagtheit überwältigt einen. Nun sehe ich, daß auch das Stadtgut brennt, und daß die Kühe brüllend herumlaufen. Einige kleine Siedlungshäuschen bei der Recknitzhöhe stehen noch, und die Leute bieten uns Wasser an. Aber die Partei sorgt und tut ihr Möglichstes. Autobusse und Lastwagen laden am laufenden Band die Menschen mit ihren Bündeln auf und fahren sie ins Ausweichlager.
    Da Völkers noch nach Verwandten in Dresden suchen müssen, vertrauen sie mir die beiden Mütter von über 80 und 70 Jahren und die 12jährige Irmtraud an, und wir machen aus: Treffpunkt Possendorf, wo die Autos alle ankommen. In Possendorf verstaue ich die beiden Großmütter und Irmtraud bei Leuten in einer warmen Stube, wo sie auch Kaffee bekommen – aber ich muß an der Straßenecke stehen und all die Lastautos abwarten.Dort zog es tüchtig, denn ich hatte als Kopfbedeckung nur den Feuerwehrhelm. Die Lastautos entleeren sich, und dann kommen Bauernwagen, die die Menschen breit fahren. Die Bauern waren in der Nacht alarmiert worden. Die Leute kommen in furchtbarem Zustand an und können zum Teil nicht mehr aus den Augen schauen. Ich helfe ihnen mit Borwasser die Augen auswaschen. So stehe ich Stunde um Stunde an der Straße und warte, aber Völkers kommen nicht – es geht auf Mittag. Die Großmütter gehen ins Sammellager, wo sie eine Suppe bekommen. Als sie zurück sind, will ich mit Irmela gehen – aber unterwegs überrascht uns neuer Alarm, und eine Flugzeugwelle nach der andern fliegt über uns hinweg. Wir suchen rasch ein Haus auf – aber ein Luftschutzkeller ist nicht vorhanden, so verbringen wir die Stunden in einer Waschküche, zitternd und bebend. Wir drücken uns dankbar die Hand, als alles vorbei ist. Im Sammellager wird auch etwas Wurst und Brot verteilt – aber ich erwische bei den großen Menschenmassen nichts – es heißt also weiter durchhalten.
    Da entdecke ich endlich Völkers mit ihren Verwandten. Ich fahre dann in einem Bauernfuhrwerk nach Dippoldiswalde. Es ist eisigkalt, und die Fahrt geht langsam. Zwischen all den Wagen und Autos kommen auch die Flüchtlinge zu Fuß, mit Leiterwagen, Rädern, und dazwischen die großen Züge der Flüchtlinge aus Schlesien – ein Treck hinterm andern. Vieh und alle müssen von den Bauern aufgenommen und versorgt werden. In Dippoldiswalde werden wir in die Gewerbeschule gebracht. Immer mehr Menschen kommen – man kommt fast nicht mehr durch, überall hockende und herumstehende Menschen.
    Ich gehe auf das Gut zu Jochums, um vielleicht dort noch ein Lager zu bekommen. Bei Jochums ist auch schon alles voll – die ganzen Dresdner Offiziersfrauen sind dort und Offiziere, da Herr Jochum Reserveoffizier ist. Frau Jochum macht mir noch ein Notlager auf dem Boden zwischen zwei Betten in einer Kammer, und ich bekomme noch ein herrliches Abendbrot, das erste Essen seit 24 Stunden. Ich bin froh, daß ich mich ausstrecken kann, wenn es auch tüchtig kalt ist auf dem Fußboden. Ein schöner schwarzer edler Pudel liegt neben mir.
     
    Kamenz Eine Schülerin
    Als es dann heller wurde, machte mein Onkel von uns Jammergestalten Photos, das einzige Andenken an diese Schreckensnacht, das uns verblieben ist. Als wir Pulsnitz zur Mittagszeit erreichten, hatten wir 25 km zurückgelegt. Ich war nur in Pantoffeln gegangen, mit Pappmachésohlen. So fehlte nicht mehr viel, daß ich »richtig auf deutschem Boden ging«. In Pulsnitz wurden wir von einem anderen Onkel im Lastauto abgeholt,

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