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Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Titel: Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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kolossalen Sturm und Luftzug waren fast alle Lampen von den Decken gerissen. Deshalb wollte Onkel Hans, daß ich mit meinem Vater am nächsten Morgen Dresden verlasse. Wir sind dann gegen 10 Uhr in Richtung Radebeul losmarschiert in einem endlosen Zug von Menschen, die aus der Stadt herausströmten. Die meisten hatten schwere Augenschäden durch die Hitze und den starken Staub erhalten und hatten alle nasse Tücher vor dem Gesicht. So gegen 1/4 nach 1 2 trafen wir beide in Friedewald bei Radebeul ein, wo die Eltern von Onkel Hans einHäuschen hatten. Das ganze war ein Waldgrundstück, das Haus lag oben. Noch während wir uns mühten, durch den Wald hinaufzugelangen, hörten wir wieder starken Flugzeuglärm über uns. Wir legten uns sofort flach auf den Boden. Eine Warnung gab es nicht. Da der Strom überall weg war, gingen auch die Sirenen nicht mehr. Bald hörten wir auch wieder den Krach aus der Stadt, blieben aber von allem verschont.
     
    (Dresden) Victor Klemperer 1881–1960
    Nun war es also Mittwoch morgen, den 14. 2., und wir hatten das Leben gerettet und waren beisammen. Wir standen noch nach der ersten Begrüßung zusammen, da tauchte Eisenmann mit Schorschi auf. Seine andern Angehörigen hatte er nicht gefunden. Er war so herunter, daß er zu weinen anfing: »Gleich wird das Kind Frühstück verlangen – was soll ich ihm geben?« Dann faßte er sich. Wir müßten unsre Leute zu treffen versuchen, ich müßte den Stern entfernen, so wie er den seinen schon abgemacht hätte. Darauf riß Eva mit einem Taschenmesserchen die Stella [Judenstern] von meinem Mantel. Dann schlug Eisenmann vor, zum jüdischen Friedhof zu gehen. Der würde unversehrt sein und Treffpunkt bilden. Er zog voran, wir verloren ihn bald aus den Augen, und seitdem blieb er für uns verschwunden.
    Wir gingen langsam, denn ich trug nun beide Taschen, und die Glieder schmerzten, das Ufer entlang bis über die Vogelwiese hinaus. Oben war Haus bei Haus angebrannte Ruine. Hier unten am Fluß, wo sich viele Menschen bewegten oder hingelagert hatten, staken im durchwühlten Boden massenhaft die leeren, eckigenHülsen der Stabbrandbomben. Aus vielen Häusern der Straße oben schlugen immer noch Flammen. Bisweilen lagen, klein und im wesentlichen ein Kleiderbündel, Tote auf den Weg gestreut. Einem war der Schädel weggerissen, der Kopf war oben eine dunkelrote Schale. Einmal lag ein Arm da mit einer bleichen, nicht unschönen Hand, wie man so ein Stück in Friseurschaufenstern aus Wachs geformt sieht. Metallgerippe vernichteter Wagen, ausgebrannte Schuppen. Die Menschen weiter draußen hatten z. T. wohl einiges retten können, sie führten Bettzeug und ähnliches auf Karren mit sich oder saßen auf Kisten und Ballen. Zwischen diesen Inseln hindurch, an den Leichen und Wagentrümmern vorbei, strömte immerfort Verkehr, Elbe auf- und abwärts, ein stiller, erregter Korso. Wir bogen neuerlich – ich überließ mich Evas Führung und weiß nicht, wo – rechts zur Stadt hin. Jedes Haus eine Brandruine, aber häufig Menschen davor mit gerettetem Hausrat. Immer wieder noch unversiegte Brände. Nirgends die Spur einer Löschtätigkeit. Eva sagte: »Das Lämmchen«, »der Fürstenplatz«. Erst als wir an die Krankenhäuser kamen, orientierte ich mich. Das Bürgerspital schien nur noch Kulisse, das Krankenhaus bloß teilweise getroffen. Wir traten in den jüdischen Friedhof. Von dem Haus, das die Leichenhalle und Jacobis kleine Wohnung enthalten hatte, stand dachlos das äußere Gemäuer, dazwischen sah man ein tiefes Loch im nackten Erdboden, sonst gar nichts, alles war vollkommen vertilgt. Merkwürdig klein wirkte dieser Raum; rätselhaft, wie er die Halle, die Wohnung und noch einige Nebenräume enthalten hatte. Ich ging die Allee hinunter zu dem Gärtnerschuppen,in dem ich Steinitz, Schein und Magnus oft beim Skat getroffen hatte. Viele Grabsteine und -platten waren umgeworfen oder beiseite geschoben, viele Bäume geknickt, manche Gräber wie angewühlt. (Wir fanden nachher noch in einer ziemlich entfernten Straße ein Stück Grabstein, Sara... war darauf zu entziffern.) Der Gärtnerschuppen stand kaum beschädigt – aber nirgends war ein Mensch zu sehen. Einen Keller hat es auf dem Friedhof nicht gegeben – was mag aus Jacobi und seiner Familie geworden sein? Wir wollten nun nach der Borsbergstraße zu Katz, teils um Anschluß zu finden, teils meines Auges halber, aber überall in den Straßen war Schutt und rauchiger Staub, überall brannten noch

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