Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
erblickt.
»Meine Männer haben dies hier gefunden«, sagte er.
Die Äbtissin wandte den Kopf zur Seite.
»Ihr habt einen Verräter in den eigenen Reihen«, erklärte er und stand auf. »Schwester Hawisia hatte einen Pfeil im Rücken. Sie wurde getroffen, während sie etwas Schrecklichem gegenüberstand – etwas sehr, sehr Schrecklichem.« Er nickte. »Ich werde jetzt einen Spaziergang innerhalb der Mauern machen. Sicherlich möchtet Ihr in aller Ruhe darüber nachdenken, ob Ihr uns beauftragen wollt oder nicht.«
»Ihr werdet uns vergiften«, sagte sie. »Ihr und Euresgleichen bringen keinen Frieden.«
Er nickte erneut. »Wir bringen Euch keinen Frieden, sondern Schwerter.« Er grinste über dieses fehlerhafte Zitat aus der Heiligen Schrift. »Aber wir sind es nicht, die die Gewalt erschaffen. Wir stellen uns ihr nur entgegen, wenn sie zu uns getragen wird.«
»Auch der Teufel kann aus der Schrift zitieren«, sagte sie.
»Zweifellos hatte er seinen Anteil an ihrer Abfassung«, erwiderte der Hauptmann.
Sie hielt eine Entgegnung zurück – er beobachtete, wie sich ihre Miene veränderte, als sie beschloss, ihn nicht weiter zu reizen. Und dann verspürte er ein schwaches Gefühl der Reue, weil er sie angestachelt hatte. Es war ein dumpfer Schmerz von der Art, wie er in sein Handgelenk fuhr, wenn er an einem vorherigen Tag zu viele Schwertübungen gemacht hatte. Doch er hatte keine Übung im Umgang mit Reue.
»Ich würde sagen, es ist jetzt ein wenig spät, um an Frieden zu denken.« Er setzte ein höhnisches Grinsen auf und ließ es gleich wieder verschwinden. »Meine Männer sind hier, und sie haben schon seit Wochen kein gutes Mahl und keine bezahlte Arbeit mehr gehabt. Ich sage dies nicht als Drohung, sondern lediglich als eine nützliche Mitteilung, die Eurer Entscheidungsfindung dienen könnte. Ich glaube auch, dass die Kreatur, mit der Ihr es zu tun habt, weitaus schlimmer ist, als Ihr es Euch vorstellen könnt. Ich würde sogar sagen, dass sie schlimmer ist, als ich es mir selbst vorgestellt hatte. Sie ist groß, mächtig, wütend und klug. Und sehr wahrscheinlich ist sie nicht allein.«
Sie zuckte zusammen.
»Erlaubt mir einige Minuten des Nachdenkens«, sagte sie.
Er nickte, verneigte sich, richtete sein Reitschwert an der Hüfte und ging hinaus in den Hof.
Seine Männer standen wie Statuen da; ihre scharlachroten Mäntel stachen deutlich von der grauen Umgebung ab. Die Pferde waren ein wenig beunruhigt, die Männer nicht.
»Steht bequem«, sagte er.
Sie alle holten gleichzeitig Luft, streckten die Arme, die von den schweren Rüstungen müde geworden waren, und regten die Hüften, an denen Kettenhemden und Panzer scheuerten.
Michael war der Keckste von ihnen. »Sind wir im Geschäft?«, fragte er.
Der Hauptmann sah ihn nicht an, weil er ein offenes Fenster auf der anderen Seite des Hofes bemerkt hatte, das ein Gesicht einrahmte. »Noch nicht, mein Süßer. Wir sind noch nicht im Geschäft.« Dann warf er eine Kusshand in die Richtung des Fensters.
Das Gesicht verschwand.
Ser Milus, sein Primus Pilus und Standartenträger, grunzte. »Schlecht fürs Geschäft«, sagte er und fügte gerade noch rechtzeitig hinzu: »Mylord.«
Der Hauptmann warf ihm einen raschen Blick zu und warf wieder einen Blick zu den Fenstern des Dormitoriums hinüber.
»Uns beobachten in diesem Augenblick noch mehr Jungfrauen«, erklärte Michael. »Für mich haben sie schon immer die Beine breit gemacht.«
Jehannes, der älteste Marschall, nickte ernsthaft. »Heißt das, dass es eine war, junger Michael? Oder sogar zwei?«
Guillaume Langschwert, der jüngere Marschall, bellte sein seltsames Lachen heraus, das nach den Seehunden in den Buchten des Nordens klang. »Die Zweite hat gesagt, sie sei noch Jungfrau«, jammerte er spöttisch. »Zumindest hat sie das mir gegenüber behauptet!«
Seine Stimme hatte durch den Helm, hinter dem sie hervordrang, eine geradezu ätherische Anmutung bekommen und hing nun für einen Augenblick in der Luft. Die Männer konnten das Grauen, das sie gesehen hatten, nicht einfach vergessen. Sie schoben es lediglich beiseite. Die Erinnerungen an das Gehöft waren noch zu frisch, und die Stimme des jüngeren Marschalls musste sie irgendwie wieder heraufbeschworen haben.
Niemand lachte. Das heißt, eigentlich lachten alle, aber es klang gezwungen.
Der Hauptmann zuckte die Achseln. »Ich habe beschlossen, unserer zukünftigen Auftraggeberin einige Zeit zum Nachdenken über ihre Lage zu
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