Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
geben«, sagte er.
Milus stieß ein abgehacktes Lachen aus. »Sie soll also in ihrem eigenen Saft schmoren, damit wir den Preis erhöhen können?«, fragte er und deutete mit dem Kopf auf die Kapellentür. »Der da drüben mag uns jedenfalls nicht.«
Der Priester stand noch immer in der Kapellentür.
»Ist er etwa schwachsinnig? Oder ist er hier der Zuhälter?«, fragte Ser Milus und starrte den Priester an. »Glotz uns einfach weiter so an, wenn es dir gefällt, Kumpel.«
Die Soldaten kicherten, und der Priester verschwand endlich in der Kapelle.
Michael zuckte unter der Grausamkeit in der Stimme des Standartenträgers zusammen und trat vor. »Was wollt Ihr tun, Mylord?«
»Oh«, meinte der Hauptmann, »ich gehe auf die Jagd.« Er entfernte sich mit einem schrägen Grinsen, ging einige Schritte auf die Schmiede zu, spannte sich an … und verschwand.
Michael sah verwirrt drein. »Wo ist er?«, fragte er.
Milus zuckte mit den Schultern und verlagerte dadurch das Gewicht seines Kettenhemdes. »Wie macht er das eigentlich?«, fragte er Jehannes.
Zwanzig Schritte entfernt betrat der Hauptmann den Dormitoriumsflügel, als hätte er jedes Recht dazu. Michael beugte sich vor, als wolle er ihm etwas zurufen, doch Jehannes legte ihm die gepanzerte Hand über den Mund.
»Da geht unser schöner Vertrag dahin«, sagte Hugo. Er sah den Standartenträger mit seinen dunklen Augen an und zuckte trotz seines Kettenpanzers mit den Achseln. »Ich hab dir doch gesagt, er ist zu jung.«
Jehannes nahm die Hand vom Gesicht des Knappen. »Der Bourc geht seine eigenen Wege.« Er gab den anderen Männern Zeit, die Köpfe zu schütteln. »Lasst ihn in Ruhe. Wenn er uns diesen Vertrag verschafft …«
Hugo schnaubte verächtlich und blickte zu dem Fenster hinauf.
Der Hauptmann betrat den Palast in seinem Kopf.
Ein gewölbter, zwölfseitiger Raum mit hohen, ebenfalls gewölbten Bleiglasfenstern, von denen jedes ein anderes Bild zeigte. In gleichen Abständen waren sie zwischen Säulen aus altem Marmor eingelassen, die eine Decke mit einem Kreuzgewölbe trugen. Unter jedem Fenster befand sich das Zeichen eines Sternbildes, in strahlendem Blau auf ein Goldblatt gemalt, sowie ein Band aus armbreiter gehämmerter Bronze, und schließlich auf Augenhöhe eine Reihe von Nischen zwischen den Säulen, in denen Statuen standen – es waren insgesamt elf aus weißem Marmor, und unter dem Sternzeichen des Widders war eine eisenbeschlagene Tür in die Wand eingelassen.
Genau in der Mitte des Raumes stand eine zwölfte Statue – Prudentia, die Lehrerin seiner Kindheit. Trotz ihrer festen weißen Marmorhaut lächelte sie ihn warmherzig an, als er sich ihr näherte.
»Clementia, Pisces, Eustachios«, sagte er im Palast seiner Erinnerung, und die geäderten weißen Hände seiner Lehrerin zeigten auf ein Bild nach dem anderen.
Und der Raum bewegte sich.
Die Fenster über den Sternkreiszeichen drehten sich still, und die Statuen unter dem Bronzeband rotierten in der anderen Richtung, bis die drei ausgewählten Zeichen unmittelbar gegenüber der eisenbeschlagenen Tür lagen. Er lächelte Prudentia an, trat über die Fliesen des zwölfseitigen Raumes und drückte die Klinke der Tür herunter.
Er öffnete sie, und sie wies hinaus auf einen Garten in üppigem Sommergrün – die Traumerinnerung an einen vollkommenen Sommertag. Es war nicht immer so auf der anderen Seite der Tür. Eine kühle Brise wehte herbei. Nicht zu allen Zeiten war sie so stark – seine grüne Macht –, und er lenkte ein wenig davon mit seinem Willen ab, bog sie zu einer Kugel zusammen und steckte sie wie eine Handvoll Sommerblätter in den Hanfsack, den er sich an Prudentias ausgestrecktem Arm vorstellte. Ein Mittel gegen Regentage. Die beharrliche grüne Brise fuhr ihm durch die Haare, erreichte die Zeichen auf der gegenüberliegenden Wand und …
Ohne Hast ging er von den Pferden weg und wusste genau, dass Michael abgelenkt sein würde – ebenso wie die Beobachterin hinter dem Fenster.
Die bevorzugten Phantasmata des Hauptmannes rührten eher von einer Irreführung als von ätherischer Macht her. Er verstärkte ihre Wirksamkeit durch seine Körperbeherrschung – ging ganz leise und sorgte dafür, dass sein Umhang nicht flatterte.
An der Tür zum Dormitorium betrat er wieder seinen Erinnerungspalast und …
… beugte sich in den gewölbten Raum. »Noch einmal dasselbe, Pru«, sagte er.
Abermals bewegten sich die Zeichen, als die Marmorstatue auf sie zeigte, und
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