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Der Rote Krieger: Roman (German Edition)

Der Rote Krieger: Roman (German Edition)

Titel: Der Rote Krieger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miles Cameron
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voller Menschen, dass einige Männer und Frauen trotz der Kälte des Abends auf den strohbedeckten Steinfliesen schlafen mussten. Fackeln brannten überall im Hof, in dessen Mitte ein Scheiterhaufen entzündet worden war. Sein flackerndes orangefarbenes Licht wurde von den Türmen, dem Bergfried und den glitzernden Fenstern des Dormitoriums widergespiegelt. Hühner – Hunderte von ihnen – rannten durch den Hof und über die Felsen des Vorsprungs hinter dem Tor. Schweine wühlten im Abfall des Konvents am Fuß des Hügels; es waren beinahe zweihundert. Der Schafspferch an der Ostmauer war ebenfalls brechend voll, und im letzten Licht des Tages sah der Mann, der am Fenster des Äbtissinnengemachs stand, das Glitzern eines Dutzends bewaffneter Männer und genauso viele Bogenschützen, die weitere tausend Schafe von den Gehöften im Osten herbeibrachten.
    Der Hauptmann beobachtete vom Fenster der Äbtissin aus die Patrouillen, die Schafe und das endgültige Schließen des Tores. Seine Blicke folgten Bents markanter Gestalt, als der große Bogenschütze die Wache auf dem Bergfried auswechselte und die abtretenden Soldaten um die runden Mauern herumführte, während ausgeruhte Männer an ihre Stelle traten. Es war eine bestechende und wirksame Zeremonie, die großen Eindruck auf die Bewohner des Ortes machte, die in ihrem ganzen Leben wohl noch nie zuvor so viele bewaffnete Männer gesehen hatten.
    Der Hauptmann seufzte. »Innerhalb der nächsten Stunde wird die erste Jungfrau ihre Unschuld und der erste Bauer sein Gehöft beim Würfelspiel verloren haben«, sagte er.
    »In dieser Lage denkt Ihr an Jungfrauen?«, fragte die Äbtissin.
    »Oh, ich selbst befinde mich weit außerhalb solch irdischer Belange.« Der Hauptmann sah weiter zu und lächelte.
    »Ihr macht Euch Sorgen, weil wir noch nicht angegriffen wurden«, bemerkte die Äbtissin.
    Der Hauptmann schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf. »Ich würde mich lieber zum Narren machen, sodass jeder Soldat Albias über mich lacht, als von den Geschöpfen der Wildnis belagert zu werden«, erwiderte er. »Ich weiß nicht, wo sie sich in diesem Augenblick befinden, und es ist mir auch nicht klar, warum sie es zugelassen haben, dass wir die Menschen in Sicherheit bringen konnten. In meinen dunkelsten Momenten befürchte ich, dass unsere Mauern schon untergraben wurden oder wir eine Legion von Verrätern innerhalb unserer Mauern beherbergen.« Er hob die Hand und machte eine abwehrende Geste. »Aber um die Wahrheit zu sagen, ich kann nur hoffen, dass sie genauso wenig über uns wissen wie wir über sie. Vorgestern waren wir noch ein leichter Gegner. Aber heute könnten wir ein ganzes Jahr durchhalten, falls uns nicht die schiere Angst überwältigt.« Er betrachtete ihr sorgenvolles Gesicht.
    Sie zuckte die Achseln. »Wie alt seid Ihr, Hauptmann?«
    Diese Frage war ihm offenbar unbehaglich.
    »Wie viele Belagerungen habt Ihr bereits mitgemacht?«, wollte sie wissen. »Wie vielen Kreaturen der Wildnis habt Ihr im Kampf schon gegenübergestanden?« Sie wandte sich ihm zu, machte einen Schritt nach vorn und ließ nicht locker. »Ich bin die Tochter eines Ritters, Hauptmann. Ich weiß, dass das keine höflichen Fragen sind, aber bei Gott, ich habe das Gefühl, ein Recht auf die Antwort zu haben.«
    Er lehnte sich gegen die Wand, kratzte sich kurz unter dem Kinn und starrte ins Nichts. »Ich habe mehr Menschen als Ungeheuer getötet. Ich habe eine einzige Belagerung erlebt, und wenn ich ehrlich bin, muss ich gestehen, dass wir sie im zweiten Monat abgebrochen haben. Ich bin …« – er sah ihr tief in die Augen – »… zwanzig Jahre alt.«
    Der Laut, den sie nun von sich gab, lag irgendwo zwischen einem zufriedenen »Hm« und einem verächtlichen Schnauben.
    »Aber das wisst Ihr doch bereits durch Eure Gabe der Weissagung.« Er drückte sich von der Wand ab und richtete sich auf. »Ich mag zwar noch jung sein, aber ich habe schon fünf endlose Jahre des Krieges hinter mir. Und mein Vater …« Er hielt inne. Nun kam es zu einem langen Schweigen.
    »Euer Vater?«, fragte sie leise.
    »Er ist ein berühmter Soldat«, sagte er mit noch leiserer Stimme.
    »Ich habe meine Verteidigung einem Kind anvertraut«, sagte die Äbtissin und schürzte die Lippen in Selbstironie.
    »Einem Kind mit einer ausgezeichneten Lanzentruppe. Um ehrlich zu sein, gibt es in ganz Albia keinen besseren Söldnerhauptmann. Ich weiß, was ich tue. Ich habe es schon früher getan und beobachtet.

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