Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
Zauberer.« Sie schaute über die niedrige Mauer.
Tief im Osten sah er einen schwachen orangefarbenen Fleck, der ihn sofort an seine Pflichten erinnerte. »Ich muss gehen«, sagte er. Er wollte sie beeindrucken – und er wollte gleichzeitig nicht so wirken, als ob er sie beeindrucken wollte. »Ich habe einige Leute mit einer besonderen Aufgabe losgeschickt, die ich eigentlich selbst hätte übernehmen sollen«, platzte es aus ihm heraus.
Sie schien ihm nicht zugehört zu haben. »Ich dachte, Ihr müsst wissen, worum es eigentlich geht«, sagte sie. »Und ich glaube nicht, dass sie es Euch sagen wird. Dies hier ist ein Ort der Macht. Die Meister unseres Ordens haben ihn mit mächtigen Frauen und Gegenständen besetzt. Und nun strahlt er wie ein Leuchtturm.«
Bei ihren Worten fühlte er sich blind und dumm. Prudentias Regeln für die Macht und deren Anwendung, die in einer Welt, die den Magiern misstraute, große Weisheit darstellte, hatte ihm diese Erkenntnis verwehrt.
»Entweder das, oder sie wollte, dass ich es Euch sage«, fügte Amicia hinzu. Zum ersten Mal an diesem Abend ließ sie den Kopf hängen.
»Oder sie hat erwartet, dass ich es selbst herausfinde«, sagte er bitter. Er fühlte das Verstreichen der Zeit, als hielte er ein Stundenglas in der Hand. Er spürte die Reiter, die nach Westen in den Wald huschten, er spürte auch die mangelnde Wachsamkeit seiner Wachen, er spürte tausend vergessene Einzelheiten wie ein Gerank aus Macht, das um seine Soldaten lag und ihn von Amicias Seite fortzerrte. Und das Glimmen tief im Osten – was war das?
Dann spürte er sie wieder, und er war wie mit einer Kette an die Bank gefesselt.
»Ich muss gehen«, sagte er abermals. Doch seine Jugend und seine eigene Hand verrieten ihn, und wieder lag er in ihren Armen – oder sie in den seinen.
»Ich will das nicht«, sagte sie, als sie ihn erneut küsste.
Er machte sich frei von ihr, brach das Band zwischen ihnen mit einem einzigen Gedanken und wich vor ihr zurück. »Kommst du oft hierher?«, fragte er mit heiserer Stimme. »Zu diesem Baum?«
Sie nickte; es war in dem Zwielicht kaum zu sehen.
»Ich könnte dir schreiben«, sagte er. »Ich will dich wiedersehen.«
Sie lächelte. »Ihr könnt mich jeden Tag sehen«, sagte sie. »Ich will das aber nicht. Ich brauche es nicht. Ihr kennt mich nicht. Wir sollten voneinander lassen.«
»Wir können es genauso beenden, wie wir es begonnen haben«, sagte er. »Mit einem Kuss und einem Schlag. Aber du willst mich ebenso sehr, wie ich dich will. Wir sind miteinander verbunden .«
Sie schüttelte den Kopf. »Das ist etwas für Kinder. Hört mir zu, Hauptmann . Ich bin früher einmal eine Ehefrau gewesen. Ich weiß, wie sich ein Mann zwischen meinen Beinen anfühlt. Ah. Ihr zuckt zusammen. Die Novizin ist keine Jungfrau mehr. Soll ich weitersprechen? Ich habe auf der anderen Seite des Walls gelebt. Ich war eine Hinterwallerin. Nein, seht mich an!« Sie zog den Kragen ihres Gewandes herunter. Ihre Schulter war mit Tätowierungen übersät.
Sie glühte im Schein der fernen Feuer, und alles, was er verspürte, war Verlangen.
»Ich wurde jung entführt und wuchs unter ihnen zur Frau heran. Ich hatte einen Gemahl – einen Krieger, und vielleicht wären wir sogar miteinander alt geworden, er als Häuptling und ich als Schamanin. Doch dann kamen die Ordensritter. Sie haben ihn umgebracht und mich mitgenommen, und jetzt bin ich hier. Ich brauche keinen Schutz. Ich lebe in der geistigen Welt. Ich habe gelernt, Jesus zu lieben. Aber jedes Mal, wenn ich Euch küsse, eile ich in meinem Leben zurück und zu einem anderen Ort. Ich kann nicht mit Euch zusammen sein. Ich werde niemals zur Hure eines Söldners werden. Ich habe mich heute Abend geopfert, damit Ihr das sehen konntet, wovor Ihr die Augen verschlossen hattet – weil Ihr Angst vor Eurer eigenen Macht habt.« Sie drehte den Kopf. »Geht jetzt.«
Die Machtlinien zu seinen Soldaten waren so fest wie Kabel. Er missachtete seine Pflicht. Es war wie ein gebrochener Knochen – ein Schmerzensschrei. Aber er konnte das, was zwischen ihnen entstanden war, nicht einfach auf sich beruhen lassen.
»Von dem Moment an, als sich unsere Blicke trafen, begehrtest du mich genauso sehr wie ich dich. Sei keine Heuchlerin. Du willst dich heute Abend geopfert haben? Eher hast du diesen Abend herbeigesehnt und dir einen Grund verschafft, ihn zu erleben.« Schon als er diese Worte aussprach, schalt er sich einen Narren. Es war nicht das, was er
Weitere Kostenlose Bücher