Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
Außerdem habe ich im Gegensatz zu meinesgleichen die Kriegskunst eingehend studiert. Ich habe mich mit ihnen allen beschäftigt – mit Maurikos und Leo und Nikephoros Phokas, sogar mit Vegetius. Und wenn ich so sagen darf: Es ist inzwischen zu spät, Euch noch anders zu entscheiden.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Ich habe Angst.« Sie trank ihren Wein und ergriff plötzlich seine Hand. »Ich bin fünfzig Jahre alt«, gestand sie. »Und habe noch nie eine Belagerung mitgemacht.« Sie ließ seine Hand los und biss sich auf die Lippe. »Habt Ihr auch Angst?«
Er ergriff ihre Hand wieder und küsste sie. »Immer. Vor allem und jedem. Meine Mutter hat mich zum Feigling erzogen. Sie hat mir sehr sorgsam beigebracht, alles zu fürchten. Einschließlich ihrer eigenen Person. Seht Ihr, nun werdet Ihr zu meiner Beichtigerin. Meiner Meinung nach ist Feigheit die beste Schule des Mutes.«
Sie musste lächeln. »Ihr seid ein kluger Kopf. Vade retro.«
Er nickte. »Aber ich bin zu müde dafür.«
Ihr Lachen und ihre Unterhaltung setzten sich fort, bis er und sie den Rest ihres Weins getrunken hatten. Schließlich sagte sie, nachdem sie aus dem Fenster geblickt hatte: »Und was fürchtet Ihr am meisten?«
»Das Versagen«, antwortete er und lachte über seine eigenen Worte. »Aber von allen Menschen in dieser Festung bin ich vermutlich der Einzige, der keine Angst vor der Wildnis hat.«
»Ist das ernst gemeint?«, fragte sie.
Er starrte eine Weile ins Kaminfeuer. »Ja«, sagte er dann mit einem Seufzer. »Ich muss einen Blick auf die Wachen werfen. Heute Abend habe ich einen kühnen Versuch gewagt. Ich muss dafür sorgen, dass meine Leute nicht unvorbereitet sind. Ihr wisst, dass der Feind zu unserer Beobachtung Tiere einsetzt?«
»Ja«, sagte sie sehr leise.
»Was wisst Ihr sonst noch, Mylady? Etwas, das Eurem sehr jungen Hauptmann dabei helfen könnte, Eure Festung zu schützen?« Er beugte sich zu ihr.
Sie wandte den Blick ab. »Nein«, sagte sie nur.
Er stellte seinen Weinbecher mit einem klackenden Geräusch auf dem Eichentisch ab. »Ich habe Euch die Wahrheit gesagt.«
»Dann sollten wir jetzt unsere Kräfte aufstellen«, sagte sie mit einem schwachen Lächeln. »Geht und schaut nach Euren Wachen. Meine wenigen und schäbigen Geheimnisse sind für unsere Belagerung nicht von Belang.«
Er verneigte sich, und sie entließ ihn mit einer knappen Handbewegung. Er begab sich nach draußen zur Treppe. Es war dunkel.
Ihre Tür schloss sich, und nun tastete er sich die Stufen hinunter, als sich plötzlich eine fremde Hand um die seine legte.
Er hatte sie sofort erkannt und hob die Hand an seine Lippen – so schnell, dass sie nicht mehr weggezogen werden konnte. Er hörte den Seufzer des Mädchens.
In diesem Augenblick dachte er daran, sie einfach gegen die Steinwand zu drücken. Aber es kam ihm in den Sinn, dass sie möglicherweise auf Anordnung der Äbtissin hier war, und es wäre mehr als grob, die Novizin vor der Tür der Äbtissin zu attackieren. Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf, bevor sich ihre Lippen auf die seinen legten und ihre Hände gegen seine Schultern drückten.
Sein Herz klopfte heftig, sein Hirn schien leer geworden zu sein.
Nun spürte er ihre Macht. Als sich ihre Körper gegeneinanderdrückten und ihre Zunge die seine liebkoste, erschufen sie beide diese Macht.
Sie beendete den Kuss, trat von ihm zurück – die plötzliche Abwesenheit von Wärme in der Finsternis – und sagte: »Jetzt sind wir quitt.« Dann ergriff sie seine Hand. »Kommt mit.«
Sie führte ihn die dunklen Steinstufen hinunter und durch die Halle. Die Scheiterhaufen im Hof ließen die Bleiglasfiguren in den Fenstern zucken und flackern, als wären sie lebendig, und launische Regenbögen spielten über den Boden. Nach der vollkommenen Finsternis auf der Treppe schien die Halle hell erleuchtet zu sein.
Die Novizin führte ihn zu den Büchern. Auf halbem Weg durch die Halle küssten sie sich erneut. Niemand hätte zu sagen vermocht, von wem dieser Kuss ausgegangen war. Aber als seine Hand über ihr Leibchen fuhr, trat sie einen Schritt zurück.
»Nein«, sagte sie. »Ich will Euch nur etwas zeigen. Ich bin nicht Eure Hure.«
Aber sie hielt seine Hand fest und führte ihn zu dem Buch. »Habt Ihr es schon gesehen?«, fragte sie.
»Ja.«
»Habt Ihr es auch verstanden?«, wollte sie wissen und durchblätterte es.
»Nein«, gab er zu. Es gibt für einen jungen Mann nichts Schlimmeres, als dem Objekt seiner Zuneigung
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