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Der Rote Krieger: Roman (German Edition)

Der Rote Krieger: Roman (German Edition)

Titel: Der Rote Krieger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miles Cameron
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gehört.«
    »Wir haben solche in den Bergen. Normalerweise handelt es sich um irgendeinen armen Bastard mit nur einem Auge oder ohne Hände. Oder um irgendeine andere Missgeburt. Wenn ein Mann stirbt – oder eine Frau –, legen wir ein Stück mit Wein getränktes Brot auf den Leichnam. Entweder auf den Bauch oder über das Herz. Und der arme Kerl kommt dann und isst das Brot und nimmt alle Sünden des Toten damit auf sich. So kann der Tote in den Himmel einfahren, und der arme Kerl fährt zur Hölle.« Nun war Tom in Gedanken weit entfernt. So hatte ihn der Hauptmann noch nie gesehen. Es war seltsam und ein wenig beängstigend, mit Tom näher bekannt zu sein.
    »Wir sind allesamt Sündenesser – jeder Einzelne von uns«, sagte Tom. »Ihr und ich auf alle Fälle, aber auch Langpfote und Mutwill Mordling und Ser Hugo und Ser Milus und der ganze Rest. Sogar Pampe. Und dieser Junge. Wir essen die Sünden der anderen. Wir töten ihre Feinde, und dann schicken sie uns weg.«
    Blitzartig sah der Hauptmann wieder den Dämon, der sein Pferd ausweidete. Wir essen ihre Sünden. Die Worte hatten ihn wie ein Donnerschlag getroffen, also lehnte er sich zurück. Als er diesen Gedanken beendet hatte, der wie ein Wasserfall auf ihn herabgeströmt war und seine anderen Gedanken in alle möglichen Richtungen gelenkt hatte, bemerkte er, dass sich die Schatten verändert hatten. Sein Weinbecher war schon lange leer, Tom Schlimm war gegangen, seine Beine waren steif, und seine Hand schmerzte.
    Michael stand mit einem Becher Wein in der Tür.
    Lächelnd tauchte der Hauptmann aus seinem Tagtraum auf, zuckte die Achseln und nahm den Wein entgegen.
    Er trank.
    »Jacques ist mit Getreide zur Brückenburg gegangen und mit einer Botschaft von Messire Gelfred für Euch zurückgekommen«, sagte Michael. »Es sagt, er muss dringend mit Euch sprechen.«
    »Dann sollte ich wohl wieder mein Geschirr anlegen«, sagte der Hauptmann. Selbst in seinen Ohren klang es jämmerlich. »Bringen wir es hinter uns.«
    Die Straße nach Albinkirk · Ser Gawin
    Er hatte jedes Zeitgefühl verloren.
    Er war sich nicht mehr sicher, was er überhaupt war.
    Gawin ritt durch einen weiteren Frühlingstag, umgeben von Teppichen aus Wildblumen, die wie Morgennebel unter seinem Pferd dahinströmten, in Büscheln und Hügeln dahinrollten, tausend vollkommene Blüten bei jedem Blick, blau und purpurn, weiß und gelb. In der Ferne erschuf der Sonnenglast einen Teppich aus Gelb und Grün auf den Berghängen, die mit jedem Tag näher rückten. Ihre Gipfel waren wie ein Gobelin hinter den Bäumen des immer dichter werdenden Waldes.
    Nie zuvor hatte er Blumen die geringste Beachtung geschenkt.
    »Ser Ritter?«, fragte der Junge mit der Armbrust.
    Er sah den Jungen an, und dieser zuckte zusammen. Gawin seufzte.
    »Ihr habt Euch nicht bewegt«, sagte der Junge.
    Gavin drückte seine Sporen in die Flanken des Pferdes, verlagerte sein Gewicht, und sein Schlachtross trottete davon. Das dunkle lederne Zaumzeug, das einmal sehr schön gewesen war, war inzwischen vom Tod von fünfzigtausend Blumen befleckt, denn Erzengel – so hieß sein Pferd – fraß jede Blume, an die er kommen konnte, sobald er sicher war, dass ihn die Hände an den Zügeln nicht davon abhalten würden. Das also bedeutete Gawins Elend für sein Kriegspferd – noch mehr Blumen zum Fressen.
    Ich bin ein Feigling und ein schlechter Ritter. Gawin blickte auf sein Leben der Gesetzesübertretungen zurück und versuchte herauszufinden, an welchem Punkt es schiefgelaufen war. Wieder und wieder kam er zu einem besonderen Augenblick. Zur Folterung seines älteren Bruders. Sie hatten sich zu fünft gegen Gabriel zusammengeschlossen. Hatten ihn geschlagen. Das Vergnügen, das darin gelegen hatte … seine Schreie …
    Hat es damals angefangen?, fragte er sich selbst.
    »Ser Ritter«, fragte der Junge erneut.
    Das Pferd hatte den Kopf gesenkt, und sie waren wieder stehen geblieben.
    »Ja«, murmelte Gawin. In seinem Rücken rollte die Kolonne, die er nicht bewachte, nach Norden, und Gawin sah vor sich die Große Kurve, hinter der die Straße nach Westen führte.
    Nach Westen, auf den Feind zu. Nach Westen, wo die Burg seines Vaters wartete – mit dem Hass seiner Mutter und der Angst seines Bruders.
    Warum gehe ich nach Westen?
    »Ser Ritter?«, fragte der Junge abermals. Diesmal lag Angst in seiner Stimme. »Was ist das?«
    Gawin schüttelte sich aus seinem Tagtraum. Der Junge des Goldschmieds – Adrian? Allan? Henry? –

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