Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
bedauerte, keiner der furchtbarsten Schreckensgestalten dieser Welt gegenübergestanden zu haben.
Aber Tom Schlimm war nicht so wie die anderen Menschen.
»Wie viele sind es insgesamt gewesen? Was steht uns noch bevor?«, wollte der Hauptmann wissen.
Langpfote zuckte die Schultern. »Es war dunkel und im Feuerschein schwer zu schätzen, Hauptmann. Meine Worte sind vielleicht nichts wert, aber ich sage, wir haben etwa fünfzig Menschen und noch mehr von diesen Viechern umgebracht. Und dabei haben wir bloß mal in den Ameisenhaufen getreten – bildlich gesprochen.«
Tom sah Langpfote anerkennend an. »Wie er gesagt hat. Wir haben in den Ameisenhaufen getreten. Aber wir haben ziemlich fest zugetreten.«
»Ihr beiden habt fünfzig Wildbuben umgebracht!«, platzte Michael hervor.
Tom sah ihn an, als hätte er gerade einen schlechten Geruch bemerkt. »Wir hatten Hilfe, Jungchen. Und das waren nicht alles Wildbuben. Ich weiß nicht genau, wie viele ich getötet habe – fünf? zehn? –, bis ich bemerken musste, dass sie alle aneinander gekettet waren. Arme Kerle.«
Michael gab ein ersticktes Geräusch von sich. »Gefangene?«, brachte er mühsam hervor.
Tom zuckte die Schultern. »Ich denk schon.«
Michaels Wut war deutlich zu sehen, und so hob der Hauptmann die Hand und deutete auf die Tür. »Mehr Wein«, sagte er. »Und lass dir Zeit.«
Langpfote schüttelte den Kopf, als der junge Mann den Raum verließ. »Nicht für mich, Hauptmann. Das macht mich zu schläfrig.«
»Ich bin sowieso fertig«, sagte der Hauptmann. »Das sind bessere Ergebnisse, als ich vermutet hatte. Danke.«
Langpfote schüttelte wieder seine Hand. »Dass wir das noch erleben durften, Hauptmann!«
Der Schreiber schaute auf seinen Stift. »Ich werde es gleich aufzeichnen«, sagte er, schenkte Langpfote zum Abschied noch einen eingehenden Blick und ging ebenfalls zur Tür.
Nun war der Hauptmann mit Tom Schlimm allein, der die nackten Beine unter seinem Laken ausstreckte und einen großen Schluck Wein nahm.
»Dieser Michael ist zu weich für unser Leben«, sagte Tom. »Er versucht es, und er ist nicht wertlos, aber Ihr solltet ihn gehen lassen.«
»Er hat keinen Ort, zu dem er gehen könnte«, wandte der Hauptmann ein.
Tom nickte. »Das hatte ich schon befürchtet.« Er nahm noch einen Schluck und grinste. »Dieses Mädchen – die Nonne?«
Der Hauptmann sah ihn ausdruckslos an.
Doch Tom ließ sich nicht zum Narren halten. »Nicht mit mir. Sie fragt Euch, warum Ihr Gott verflucht. Wenn Ihr meinen Rat hören wollt …«
»Will ich aber nicht«, unterbrach ihn der Hauptmann.
»Rammt ihr das Knie zwischen die Beine, und behaltet es da, bis Ihr in ihr steckt. Ihr wollt sie – und sie will Euch. Es wäre also keine Vergewaltigung.« Tom sagte das mit einer wissenden Geschäftsmäßigkeit, die noch schlimmer als das Eingeständnis war, Gefangene umgebracht zu haben. »Ich will nur sagen, dass Ihr – wenn Ihr das schafft – stets ein warmes Bett haben werdet, solange Ihr hierbleibt.« Er zuckte die Achseln. »Ein warmes Bett und eine weiche Schulter. Gut für einen Kommandanten. Keiner der Jungs wird es Euch übelnehmen.« Etwas Unausgesprochenes klang dabei ebenfalls an. Einige der Jungs würden Euch dann in einem besseren Licht sehen.
Tom nickte dem Hauptmann zu, der das Aufwallen einer schwarzen Wut in sich spürte. Er versuchte sie zu formen und nutzbar zu machen, aber sie war wie das Gebräu, das sie gegen den Feind eingesetzt hatten. Ölig schwarz, und wenn es auf Feuer traf …
Tom Schlimm holte tief Luft und sagte: »Ich bitte um Entschuldigung, Hauptmann.« Er sagte es mit der gleichen Sicherheit, mit der er alles andere sagte. »Ich fürchte, ich bin zu weit gegangen.«
Der Hauptmann schluckte Galle. »Glühen meine Augen etwa?«, fragte er.
»Ein bisschen«, antwortete Tom. »Wisst Ihr, was mit Euch nicht stimmt, Hauptmann?«
Der Hauptmann stützte sich auf dem Tisch ab; seine Wut ebbte ab und hinterließ Erschöpfung und einen Kopfschmerz von archaischen Ausmaßen. »Vieles.«
»Ihr seid ein Verrückter, wie ich auch. Ihr seid nicht wie die anderen. Was mich angeht, so nehme ich mir das, was ich haben will, und lasse den Rest in Ruhe. Aber Ihr wollt von jedermann geliebt werden.« Tom schüttelte den Kopf. »Unsereins wird nicht geliebt, Hauptmann. Selbst wenn ich ihre Feinde töte, lieben sie mich nicht. Oder? Wisst Ihr, was ein Sündenesser ist?«
Diese Frage kam wie aus dem Nichts. »Ich habe den Begriff schon mal
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