Der rote Planet
heilen.«
»Richtig«, bestätigte Netti.
»Komm her, ich zeige
dir, wie man das macht.«
Sie ergriffen das verletzte Tier, das nur wenige Schritte
weitergekrochen war. Netti nahm sein Taschentuch und riß es in
Streifen, Aldo musste Holzsplitter suchen. Dann begannen beide mit der
Ernsthaftigkeit wahrer Kinder, die mit einer sehr wichtigen Sache
beschäftigt sind, einen festen Verband um das gebrochene Bein
zu
wickeln.
Bald drängte Netti zur Umkehr.
»ü brigens können Sie heute abend
bei uns Ihren Freund Enno wieder
sehen«, sagte Nella. »Er wird den älteren
Kindern einen Vortrag über
die Venus halten.«
»Lebt denn Enno in dieser Stadt?« fragte ich.
»Nein, sein Observatorium liegt drei Stunden von hier
entfernt. Aber
er liebt Kinder und vergisst seine alte Erzieherin nicht. Deshalb kommt
er oft her, und jedes Mal erzählt er den Kindern etwas
Interessantes.«
Abends erschienen wir natürlich zur angegebenen
Stunde im
Kinderhaus. Außer den Jüngsten hatten sich alle
Kinder in einem großen
Hörsaal versammelt, auch viele Erwachsene waren gekommen. Enno
begrüßte
mich erfreut.
»Ich habe dieses Thema sozusagen für Sie
ausgewählt«, scherzte er.
»Sie grämen sich über die
Rückständigkeit Ihres Planeten und die üblen
Sitten Ihrer Menschheit. Ich werde über einen Planeten
berichten, auf
dem Dinosaurier und Flugechsen vorläufig die höchsten
Vertreter des
Lebens sind, und deren Bräuche sind schlimmer als die
Gepflogenheiten
Ihrer Bourgeoisie. Die Steinkohle brennt dort nicht in den
Öfen des
Kapitalismus, sondern wächst noch in Form gewaltiger
Wälder. Wollen wir
einmal zusammen zur Jagd auf Ichthyosaurier hinfliegen? Das sind die
dortigen Rothschilds und Rockefellers, allerdings viel
gemäßigter als
Ihre irdischen, dafür weniger kultiviert. Dort ist das Reich
der
ursprünglichen Akkumulation, die im
›Kapital‹ Ihres Karl Marx
vergessen wurde. Nella macht schon ein böses Gesicht, weil ich
hier
schwatze. Ich fange gleich an.«
Er sprach über den fernen Planeten, beschrieb die
tiefen stürmischen
Ozeane und gewaltigen Gebirge, die sengende Sonne und die dichten
weißen Wolken, die schrecklichen Stürme und Gewitter,
die unförmigen
Tiere und majestätischen Pflanzen. Alles wurde mit Filmbildern
an einer
Saalwand illustriert. Nur Ennos Stimme war zu vernehmen, im Saal
herrschte gespannte Aufmerksamkeit. Als Enno von den Abenteuern der
ersten Venusfahrer berichtete, schilderte er, dass ein Mann eine
riesige Echse mit einer Handgranate getötet hatte. Aldo, der
die ganze
Zeit neben Nella saß, begann plötzlich leise zu
weinen.
Nella beugte sich zu ihm und fragte: »Was hast
du?«
»Das Tier tut mir leid. Er hat ihm sehr weh getan,
und es ist gestorben.«
Nella umarmte den Jungen und erklärte ihm etwas mit
leiser Stimme, doch er konnte sich lange nicht beruhigen.
Enno erzählte indessen von den
unerschöpflichen natürlichen
Reichtümern des herrlichen Planeten, von seinen gigantischen
Wasserfällen, von Edelmetallen, die direkt an der
Oberfläche der Berge
lagern, von reichhaltigen Radiumvorkommen in einer Tiefe von wenigen
hundert Metern, von Energievorräten für viele
hunderttausend Jahre. Ich
beherrschte die Sprache noch nicht so gut, um die Schönheit
des
Vortrags zu empfinden, aber schon die Filmbilder fesselten meine
Aufmerksamkeit. Als Enno geendet hatte und im Saal das Licht anging,
wurde ich sogar ein wenig traurig wie ein Kind, wenn ein
schönes
Märchen zu Ende ist.
Nach dem Vortrag wurden von den Zuhörern Fragen
gestellt und
Einwände vorgebracht. Die Fragen waren so verschiedenartig wie
die
Zuhörer, sie betrafen teils Einzelheiten der Filmbilder, teils
die Art
und Weise, wie man diese Natur bezwingen könnte. Es wurde auch
gefragt:
Wann würden auf der Venus Menschen entstehen und wie
würden sie
aussehen?
Die größtenteils naiven, manchmal jedoch
recht scharfsinnigen
Einwände richteten sich hauptsächlich gegen Ennos
Schlussfolgerung,
gegenwärtig sei die Venus für den Menschen ungeeignet
und es würde in
nächster Zeit kaum gelingen, ihre Reichtümer in
nennenswertem Maße zu
nutzen. Die jungen Optimisten wandten sich energisch gegen diese
Ansicht, die unter den Forschern vorherrschte. Enno wies darauf hin,
dass die sengende Sonne und die feuchte, bakterienhaltige Luft
äußerst
ungesund seien, was alle Forscher auf der Venus gespürt
hätten, dass
die Stürme
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