Der rote Planet
Muskulatur der Männer sowie ihr weniger
schmales
Becken glätten den Unterschied. Das gilt
hauptsächlich für die letzte
Epoche, das Zeitalter der freien menschlichen Entwicklung. Bei Statuen
aus der kapitalistischen Periode treten die Geschlechtsunterschiede
stärker hervor. Die häusliche Sklaverei der Frau und
der fieberhafte
Existenzkampf des Mannes entstellen offenbar die Körper auf
unterschiedliche Weise.
Keine Minute schwand in mir das mehr oder weniger deutliche
Empfinden, dass ich Bilder einer fremden Welt sah; das gab allen
Eindrücken einen seltsamen, halb gespenstischen Beigeschmack.
Sogar der
schöne weibliche Körper der Statuen und Bilder weckte
in mir ein
unklares Gefühl, der mir bekannten
erotisch-ästhetischen Begeisterung
völlig unähnlich und eher den undeutlichen
Vorahnungen gleichend, die
mich einst an der Schwelle von der Kindheit zur Jugend bewegt hatten.
Die Statuen der frühen Epochen waren einfarbig wie
auf der Erde,
spätere Werke hatten natürliche Farben. Das wunderte
mich nicht. Die
Abweichung von der Wirklichkeit kann kein notwendiges Element der Kunst
sein, sie ist sogar antikünstlerisch, wenn sie den Reichtum
der
Wahrnehmung verringert wie beispielsweise die Einfarbigkeit einer
Skulptur. Sie trägt nicht zur künstlerischen
Idealisierung bei, die das
Leben in konzentrierter Form erfasst, sondern wirkt störend.
Bei den Statuen und Gemälden der älteren
Epochen überwogen wie bei
unseren antiken Skulpturen Darstellungen voller majestätischer
Ruhe und
friedvoller Harmonie, frei von jeglicher Spannung. In den mittleren
Epochen, der übergangszeit, traten andere Züge
hervor; heftiges
Verlangen, Leidenschaft, Erregung, manchmal zu einem erotischen oder
religiösen Traum gemildert, manchmal die aus dem Gleichgewicht
geratenen Kräfte von Seele und Körper scharf
hervorhebend. In der
sozialistischen Epoche änderte sich der Grund Charakter der
Kunst
wiederum: harmonische Bewegungen, ruhige und sichere Kraft, eine
Tätigkeit, der schmerzhafte Anstrengung fremd ist, ein
Streben, frei
von Erregung, lebendige Aktivität, vom Bewusstsein
harmonischer Einheit
und unbesiegbarer Vernunft durchdrungen.
Während die ideale weibliche Schönheit der
Antike die grenzenlosen
Möglichkeiten der Liebe ausdrückt und die ideale
Schönheit des
Mittelalters und der Renaissance das unstillbare mystische oder
sinnliche Liebesverlangen, wird dort, in der idealen Schönheit
einer
anderen, uns vorausschreitenden Welt, die Liebe selbst in ihrem ruhigen
und stolzen Selbstbewusstsein verkörpert, die Liebe an sich
— klar,
leuchtend, alles bezwingend.
Für die späteren wie für die
frühesten Kunstwerke ist
außerordentliche Einfachheit und Einheit der Motive
kennzeichnend.
Dargestellt werden sehr komplizierte menschliche Wesen mit reichem und
harmonischem Lebensinhalt, wobei diejenigen Momente ihres Lebens
ausgewählt werden, in denen sie sich ganz auf ein
Gefühl oder Bestreben
konzentrieren. Die Lieblingsthemen der modernsten Künstler
sind die
Ekstase des schöpferischen Denkens, der Liebe, des
Naturgenusses und
die Seelenruhe beim freiwilligen Tod — Sujets, die das Wesen
einer
großen Menschheit kennzeichnen, die in aller Fülle
und Konzentration zu
leben sowie bewusst und mit Würde zu sterben versteht.
Die Abteilung für Malerei und Plastik bildet eine
Hälfte des
Museums, die andere ist gänzlich der Architektur vorbehalten.
Unter
Architektur verstehen die Marsmenschen nicht nur die Baukunst, sondern
auch die schöne Form von Möbeln, Werkzeugen und
Maschinen, überhaupt
die Ästhetik alles Nützlichen.
Welch gewaltige Rolle die Kunst in ihrem Leben spielt, vermag
man an
der Fülle und sorgsamen Auswahl der Sammlungen zu ermessen.
Von
primitiven Höhlenwohnungen mit grob verziertem Hausrat bis zu
luxuriösen Gemeinschaftshäusern aus Glas und
Aluminium mit einer
Innenausstattung, die von den besten Künstlern geschaffen
wurde, und zu
gigantischen Fabriken mit drohend-schönen Maschinen, zu
gewaltigen
Kanälen mit Granitufern und gleichsam schwebenden
Brücken — hier werden
alle typischen Formen vorgestellt, und zwar als Bilder, Zeichnungen,
Modelle und vor allem als Stereogramme in großen Stereoskopen,
in denen
alles als vollkommene Illusion der Wirklichkeit wiedergegeben wird.
Einen besonderen Platz hat die Ästhetik von Gärten,
Feldern und Parks;
und wie ungewohnt die Natur des Planeten
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