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Der rote Planet

Titel: Der rote Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander A. Bogdanow
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selber‹ gebaut habe. So etwas
geschieht sehr
oft, manchmal kommt es deshalb zu einer Rauferei. Dagegen kann man
nichts machen, das ist ein allgemeines Gesetz des Lebens: Die
Ontogenese wiederholt die Phylogenese, und die Entwicklung des
Individuums wiederholt auf die gleiche Weise die Entwicklung der
Gesellschaft. Wenn ein Kind mittleren oder höheren Alters
seinen Platz
innerhalb der Gemeinschaft sucht, hat es in den meisten Fällen
einen
verschwommen-individualistischen Charakter. In der Pubertät
verstärkt
sich das noch. Erst bei Jugendlichen besiegt die soziale Umwelt der
Gegenwart endgültig die überreste der
Vergangenheit.«
    »Machen Sie die Kinder mit dieser Vergangenheit
bekannt?« fragte ich.
    »Natürlich, sie lieben sogar
Gespräche und Berichte über alte
Zeiten. Anfangs sind das für sie nur Märchen,
schöne, ein bisschen
grausame Märchen über eine andere, eine ferne und
seltsame Welt, die
aber durch ihre Bilder von Kampfund Gewalt ein unklares Echo in der
atavistischen Tiefe kindlicher Instinkte hervorruft. Erst
später, wenn
das Kind die überreste der Vergangenheit in seiner Seele
überwunden
hat, lernt es, deutlich die Verbindung der Zeiten wahrzunehmen, und die
Märchenbilder werden wirkliche Geschichte, verwandeln sich in
lebendige
Glieder einer lebendigen Kontinuität.«
    Wir schlenderten durch die Alleen des weitläufigen
Parks. Manchmal
trafen wir auf Gruppen von Kindern, die spielten, Gräben
aushoben, mit
handwerklichen Instrumenten arbeiteten, Lauben bauten oder sich einfach
unterhielten. Alle drehten sich neugierig nach mir um, aber niemand
folgte uns. Offenbar hatte man sie unterwiesen. In den meisten Gruppen
waren Kinder unterschiedlichen Alters, in vielen fanden sich auch ein
oder zwei Erwachsene.
    »In Ihrer Kinderstadt gibt es ziemlich viele
Erzieher«, bemerkte ich.
    »Ja, besonders, wenn man alle älteren Kinder
dazurechnet, was man
gerechtigkeitshalber tun sollte. Erziehungsspezialisten gibt es aber
nur drei in jedem Haus, die anderen Erwachsenen, die Sie hier sehen,
sind Mütter und Väter, die zeitweilig bei ihren
Kindern wohnen oder
junge Leute, die Erziehung studieren wollen.«
    »Dürfen denn alle Eltern, die das
wünschen, hier bei ihren Kindern wohnen?«
    »Ja, natürlich, manche Mütter leben
mehrere Jahre hier. Aber die
meisten kommen von Zeit zu Zeit für ein bis zwei Wochen,
höchstens für
einen Monat. Väter wohnen seltener hier. In unserem Haus gibt
es
sechzig Zimmer für Eltern und für die Kinder, die
allein sein möchten,
und das hat immer ausgereicht.«
    »Das heißt, auch Kinder wollen manchmal
nicht in den Gruppenräumen leben?«
    »Ja, ältere Kinder wohnen oft lieber allein.
Darin äußert sich bei
manchen der unklare Individualismus, von dem ich vorhin gesprochen
habe. Andere Kinder treiben gern, wissenschaftliche Studien und
möchten
einfach alles ausschließen, was sie ablenkt. Immerhin lieben
auch unter
den Erwachsenen vornehmlich Wissenschaftler und Künstler die
Abgeschiedenheit.«
    Plötzlich erblickten wir auf einer Wiese ein Kind von
schätzungsweise sechs Jahren, das mit einem Stecken in der
Hand einem
Tier nachjagte. Wir beschleunigten unsere Schritte, das Kind bemerkte
uns nicht. Es hatte inzwischen seine Beute eingeholt — einen
großen
Frosch — und schlug mit dem Stecken kräftig zu. Das
Tier kroch mit
einem gebrochenen Bein langsam durch das Gras.
    »Warum hast du das getan, Aldo?« fragte
Nella ruhig.
    »Ich konnte ihn nicht fangen, er ist immer
weggesprungen«, antwortete der Junge.
    »Weißt du, was du getan hast? Du hast dem
Frosch weh getan und ihm ein Bein gebrochen. Gib den Stekken her, ich
erkläre es dir.«
    Der Junge reichte Nella den Stecken, und sie schlug ihn mit
einer schnellen Bewegung auf die Hand, Der Junge schrie auf.
    »Tut das weh, Aldo?« fragte die Erzieherin,
ebenso ruhig wie bisher.
    »Sehr weh, du böse Nella!«
    »Aber den Frosch hast du noch stärker
geschlagen. Ich habe nur auf
deine Hand gehauen, doch du hast ihm ein Bein gebrochen. Das tut ihm
viel mehr weh als dir. Der Frosch kann jetzt nicht mehr laufen und
springen, er wird keine Nahrung finden und vor Hunger sterben, oder er
wird von anderen Tieren gefressen werden, vor denen er nicht fliehen
kann. Was denkst du darüber, Aldo?«
    Der Junge stand schweigend da, Tränen in den
    Augen, und hielt seine schmerzende Hand. Nach
    einer Weile sagte er: »Wir müssen sein Bein

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