Der rote Planet
und Gewitter die Arbeit erschwerten und das Leben
der
Menschen bedrohten. Die Kinder fanden, man dürfe vor solchen
Hindernissen nicht zurückschrecken, wenn man einen so
wunderbaren
Planeten beherrschen wolle. Um Bakterien und Krankheiten zu
bekämpfen,
müsste man möglichst bald tausend Ärzte
hinschicken, und gegen die
Stürme und Gewitter müssten Hunderttausende
Bauarbeiter hohe Wände
aufrichten und Blitzableiter anbringen. »Selbst wenn von zehn
Mann neun
umkommen, lohnt es sich«, sagte ein eifriger Junge von
zwölf Jahren.
»Sie wissen wenigstens, wofür sie sterben!«
An seinen glänzenden Augen
war zu erkennen, dass er selber gern unter den neun wäre.
Enno zerstörte behutsam und gelassen die
Kartenhäuschen der
kindlichen Enthusiasten, aber es war zu merken, dass er ihnen im
tiefsten Innern beipflichtete und dass sich in seinem Hirn ebensolche
Pläne verbargen, die zwar mehr durchdacht, jedoch nicht
weniger
opferreich waren. Er selbst war noch nicht auf der Venus gewesen, und
ich spürte, dass ihn die Schönheit und die Gefahren
des Planeten
lockten.
Nach dem Vortrag gingen Enno, Netti und ich zusammen weg. Enno
wollte noch einen Tag in der Stadt bleiben und schlug mir vor, am
nächsten Morgen mit ihm zusammen das Kunstmuseum zu besuchen.
Netti
musste in eine andere Stadt zu einem Ärztekongress fliegen.
4. Das Kunstmuseum
»Dass es bei Ihnen besondere Museen für
Kunstwerke gibt, hätte ich
nicht gedacht«, sagte ich zu Enno, als wir am Morgen
aufbrachen. »Ich
hielt Skulpturen- und Gemäldegalerien für eine
Besonderheit des
Kapitalismus mit seiner Prunksucht und seinem Bestreben,
Reichtümer
anzuhäufen, und glaubte, in der sozialistischen Gesellschaft
würde die
Kunst überall anzutreffen sein und das Leben
verschönen.«
»Hierin haben Sie recht«, antwortete Enno.
»Die meisten unserer
Kunstwerke sind für Gemeinschaftsgebäude bestimmt
— Gebäude, in denen
wir unsere Angelegenheiten beraten, in denen wir lernen, forschen und
uns erholen. Unsere Fabriken schmücken wir kaum, die
Ästhetik der
riesigen Maschinen und ihrer harmonischen Bewegungen erfreut uns in
ihrer reinen Form, es gibt sehr wenige Kunstwerke, die dazu passen
würden, ohne den Gesamteindruck zu zerstören oder
abzuschwächen. Am
wenigsten schmücken wir unsere Häuser, in denen wir
uns ohnehin selten
aufhalten. Unsere Kunstmuseen sind
wissenschaftlich-ästhetische
Einrichtungen, sie sind Schulen, in denen man lernt, wie sich die Kunst
entwickelt hat, oder genauer: wie sich die Menschheit mit ihrer
künstlerischen Tätigkeit entwickelt hat.«
Das Museum lag mitten in einem See auf einer kleinen Insel,
die
durch eine kleine Brücke mit dem Ufer verbunden war. Ein
Garten mit
hohen Fontänen und vielen blauen, weißen, schwarzen
und grünen Blumen
umgab das rechteckige Gebäude. Die
Außenwände waren geschmackvoll
bemalt.
In den licht durchflutete n Räumen waren
tatsächlich nicht Statuen
und Bilder so wirr durcheinander angehäuft wie in unseren
Museen. An
mehreren hundert Beispielen wurde die Entwicklung der plastischen Kunst
gezeigt, von den primitiven Skulpturen der vorhistorischen Zeit bis zu
den technisch-idealen Werken des letzten Jahrhunderts. überall
spürte
man die lebendige innere Ganzheit, die wir »Genie«
nennen.
Offensichtlich waren hier die besten Werke aller Epochen beisammen.
Um die Schönheit einer anderen Welt voll zu
begreifen, muss man ihr
Leben genau kennen, und um anderen eine Vorstellung von dieser
Schönheit zu vermitteln, muss man selbst an ihr teilhaben.
Deshalb
vermag ich nicht zu beschreiben, was ich dort gesehen habe, ich kann
höchstens einiges andeuten, bruchstückhaft auf Dinge
hinweisen, die
mich am meisten erstaunen ließen.
Das Hauptmotiv der Marsbildhauer ist wie bei uns der
schöne
menschliche Körper. Die Unterschiede zwischen Mars- und
Erdenmenschen
sind nicht groß, von den Augen und der Schädelform
abgesehen. Man
könnte von zwei Rassen sprechen. Ich vermag die
unterschiedlichen
Merkmale nicht genau zu erklären, dazu weiß ich zu
wenig über Anatomie,
aber das Auge gewöhnt sich leicht an sie und empfindet sie
nicht als
hässlich, sondern als originell.
Ich bemerkte, dass die Körperformen von Mann und Frau
einander mehr
ähneln als bei den meisten irdischen Völkern: Die
ziemlich breiten
Schultern der Frauen und die wegen einer gewissen Korpulenz nicht so
stark hervortretende
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