Der rote Planet
Siedlungen wie in Mennis Chemiestädtchen fehlen sie.
Große einstöckige Häuser liegen in
einem Gelände mit Bächen,
Teichen, Spiel- und Sportplätzen, Blumen- und
Kräuterbeeten,
Freigehegen und Tierhäusern. Scharen von
großäugigen Kindern
unbekannten Geschlechts — Jungen und Mädchen tragen
die gleiche
Kleidung. Auch bei den Erwachsenen lassen sich Männer und
Frauen schwer
an der Kleidung unterscheiden — im wesentlichen ist sie
gleich, ein
gewisser Unterschied besteht lediglich im Stil: Bei den
Männern gibt
der Anzug die Körperformen deutlicher wieder, bei den Frauen
maskiert
er sie. Jedenfalls war die ältere Person, die uns in der
Tür eines
großen Hauses empfing, zweifellos eine Frau, denn Netti
umarmte sie und
nannte sie »Mama«. In der weiteren Unterhaltung
sprach er sie einfach
mit dem Namen an, wie das auf dem Mars üblich ist. Sie
hieß Nella.
Nella kannte unsere Absicht und führte uns gleich in
ihr Kinderhaus.
Sie selber leitete die Abteilung für die Jüngsten; in
dem Haus wohnten
aber auch ältere Kinder, die beinahe erwachsen waren. Die
kleinen
Kobolde schlössen sich uns an und beobachteten mit ihren
riesigen Augen
den Menschen vom anderen Planeten — sie wussten sehr wohl,
wer ich war,
und als wir die letzten Räume besichtigten, umringte uns eine
ganze
Schar, obwohl sich die meisten Kinder seit dem Morgen im
Gelände
aufhielten.
Insgesamt lebten in dem Haus ungefähr dreihundert
Kinder
unterschiedlichen Alters. Ich fragte Nella, warum man alle
Altersgruppen vereinige und nicht jede in einem eigenen Haus
unterbringe, was die Arbeit der Erzieher erleichtern würde.
»Weil das keine wirkliche Erziehung
wäre«, entgegnete Nella. »Um für
die Gesellschaft erzogen zu werden, muss ein Kind in einer echten
Gemeinschaft aufwachsen. Die meiste Lebenserfahrung und die
größten
Kenntnisse erwerben die Kinder durch den Umgang mit ihresgleichen. Wenn
wir die älteren von den jüngeren Kindern isolierten,
würden wir ein
einseitiges und enges Milieu schaffen, und die Entwicklung des Kindes
verliefe langsam, träge und eintönig. Kinder
verschiedenen Alters
können untereinander am besten aktiv werden. Die
Älteren helfen uns bei
der Betreuung der Kleinen. Nein, wir vereinen nicht nur alle
Altersstufen, wir wählen auch für jedes Haus Erzieher
unterschiedlichen
Alters und unterschiedlicher praktischer Kenntnisse aus.«
»Trotzdem sind die Kinder in den Abteilungen nach
Altersgruppen
untergebracht — das widerspricht doch dem, was Sie eben
gesagt haben.«
»Die Kinder versammeln sich in den Abteilungen nur
zum Schlafen und
Essen. Hier besteht natürlich keine Notwendigkeit, die
Altersgruppen zu
vermischen. Aber für Spiele und Beschäftigungen
gruppieren sie sich so,
wie es ihnen gefällt. Selbst bei literarischen Lesungen und
wissenschaftlichen Vortragen, die für eine Altersgruppe
veranstaltet
werden, drängen sich im Auditorium stets viele Kinder aus
anderen
Gruppen. Die Kinder suchen sich selber ihre Gesellschaft, sie verkehren
gern mit älteren oder jüngeren Gefährten,
auch mit Erwachsenen.«
Ein Knirps drängte sich durch die Menge und rief:
»Nella, Esta hat
mir mein Schiff weggenommen, das ich selber gebaut habe! Nimm ihr das
Schiff weg und gib es mir wieder!«
»Wo ist Esta?« fragte Nella.
»Sie ist zum Teich gelaufen und lässt das
Schiff schwimmen«, antwortete das Kind.
»Jetzt habe ich keine Zeit. Jemand von den
älteren Kindern soll mit
dir gehen und Esta erklären, dass sie dich nicht
ärgern darf. Am
besten, du gehst allein und ihr spielt zusammen. Kein Wunder, dass ihr
das Schiff gefällt, wenn du es schön gebaut
hast.«
Das Kind ging fort, und Nella wandte sich an die anderen:
»Und ihr,
Kinder, tätet gut daran, wenn ihr uns allein ließet.
Dem Mann von der
Erde wird es kaum angenehm sein, dass ihn Hunderte von Kinderaugen
anstarren. Stell dir vor, Elwi, dich würde eine große
Menge solcher
fremden Menschen anschauen. Was würdest du da tun?«
»Ich würde wegrennen«,
erklärte tapfer der Angesprochene. Alle Kinder liefen flugs
auseinander. Wir gingen in den Park.
»Eben haben Sie die Macht der Vergangenheit
gesehen«, sagte die
Erzieherin lächelnd. »Anscheinend herrscht bei uns
reiner Kommunismus,
den Kindern wird fast nichts abgeschlagen — woher kommt dann
das
Bedürfnis nach Privateigentum? Ein Kind erklärt
plötzlich: ›mein‹
Schiff, das ›ich
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