Der rote Planet
Berechnungen notwendig, und
man konnte die Arbeit nicht frei wählen. Es gab einen
vorgeschriebenen
Arbeitstag, und die Neigungen der Menschen konnten nicht immer
berücksichtigt werden. Aber jede Erfindung, die der Statistik
vorübergehend Schwierigkeiten bereitete, erleichterte die
Hauptaufgabe
— den übergang zur unbeschränkten Freiheit
der Arbeit. Anfangs wurde
der Arbeitstag verkürzt, und als auf allen Gebieten ein
überangebot
herrschte, wurde jegliche Verpflichtung abgeschafft. Beachten Sie, wie
geringfügig der Mangel an Arbeitskräften ist:
Tausende, Zehntausende,
höchstens Hunderttausende Arbeitsstunden, nicht mehr
— und das bei aber
Millionen Arbeitsstunden, die in denselben Produktionszweigen
benötigt
werden.«
»Immerhin gibt es einen Mangel an
Arbeitskräften«, wandte ich ein.
»Er wird sicherlich durch den späteren
überschuss gedeckt, nicht wahr?«
»Nicht nur dadurch. In Wirklichkeit wird die
notwendige Arbeit so
berechnet, dass zum Grundbedarf eine gewisse Menge hinzugefügt
wird. In
den wichtigsten Zweigen — bei der Produktion von Nahrung,
Kleidung,
beim Bau von Gebäuden, Maschinen — beträgt
dieser Aufschlag sechs
Prozent, bei den weniger wichtigen ein bis zwei Prozent. Auf diese
Weise zeigen die Zahlen auf den Tabellen nur einen relativen, keinen
absoluten Fehlbetrag an. Selbst wenn in den fehlenden Stunden nicht
gearbeitet würde, heißt das nicht, dass die
Gesellschaft Mangel leiden
müsste.«
»Und wie viel Stunden wird gearbeitet, beispielsweise
in dieser Fabrik?«
»Täglich anderthalb, zwei, zweieinhalb
Stunden«, antwortete der
Techniker. »Manche arbeiten weniger oder auch mehr, zum
Beispiel der
Genösse dort, der den großen Hammer bedient. Er ist
von seiner Arbeit
so begeistert, dass er sich während der ganzen Arbeitszeit des
Betriebes nicht ablösen lässt, er arbeitet also sechs
Stunden täglich.«
Ich rechnete diese Zahlen um, da auf dem Mars ein Tag
länger dauert
und in zehn Stunden eingeteilt ist. Demnach betrug die
durchschnittliche Arbeitszeit fünf Stunden, die
längste fünfzehn
Stunden, Der Genösse am Hammer arbeitete also ebenso lange wie
die
Arbeiter in den schlimmsten kapitalistischen Unternehmen.
»Schadet es dem Genossen nicht, so lange zu
arbeiten?« fragte ich.
»Vorläufig nicht«, antwortete
Netti, »ein halbes Jahr lang darf er
sich das Vergnügen noch erlauben, Ich habe ihn
natürlich vor den
Gefahren gewarnt. Er kann einen krampfartigen psychischen Anfall
bekommen, der ihn mit unwiderstehlicher Kraft unter den Hammer zieht.
Voriges Jahr hatten wir hier ebenfalls einen Mann, der starke Emotionen
liebte. Nur dank einem glücklichen Zufall konnte der Hammer
angehalten
und der unfreiwillige Selbstmord verhindert werden. Das Verlangen nach
solchen starken Emotionen ist noch keine Krankheit, aber es kann leicht
dazu werden, wenn das Nervensystem vor übermüdung,
seelischem Kummer
oder wegen körperlicher Beschwerden angegriffen ist.
Natürlich lasse
ich die Genossen, die sich übermäßig einer
eintönigen Arbeit hingeben,
nicht aus den Augen.«
»Sollte der Genösse, von dem wir reden,
seine Arbeitszeit nicht
verkürzen, da es doch in der Maschinenproduktion zuviel
Arbeitskräfte
gibt?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Menni
lächelnd. »Warum sollte gerade er
das Gleichgewicht herstellen? Die Statistik verpflichtet niemanden zu
irgend etwas. Jeder nimmt sie zur Kenntnis, muss sich jedoch nicht
einzig nach ihr richten. Wenn Sie heute in dieser Fabrik arbeiten
wollten, würde sich wahrscheinlich ein Platz für Sie
finden, und in der
zentralen Statistik würde sich der überschuss um ein
bis zwei Stunden
vergrößern, mehr nicht. Der Einfluss der Statistik
äußert sich bei der
Aufteilung der gesamten verfügbaren Arbeit, aber jede Person
ist frei.«
Bei dem Gespräch hatten wir uns erholt, und wir
fuhren mit der
Besichtigung fort. Menni musste jedoch Heimfliegen, man hatte ihn ins
Laboratorium gerufen.
Abends blieb ich bei Netti. Er hatte mir versprochen, mich am
nächsten Tag in die »Kinderstadt« zu
führen, wo seine Mutter als
Erzieherin arbeitete.
3. Die Kinderstadt
Die »Kinderstadt« war der schönste
Stadtteil mit fünfzehn- bis
zwanzigtausend Einwohnern. Es waren tatsächlich fast nur
Kinder und
ihre Erzieher. Solche Einrichtungen gibt es in allen großen
Städten,
und meist bilden sie auch selbständige Bezirke; lediglich in
kleineren
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