Der rote Prophet
bestechen. Aber damals war Frederic natürlich noch ein Junge gewesen, gerade mal fünfundzwanzig Jahre alt, unreif und jung, ohne Lebenserfahrung. Er hatte geglaubt, daß Frankreich unmöglich eine schlimmere Demütigung hätte widerfahren können als das Bekanntwerden der Tatsache, daß ein Kardinal tatsächlich geglaubt hatte, er könne die Königin mit einem Diamantenhalsband bestechen. Inzwischen wußte er natürlich, daß die eigentliche Demütigung darin bestanden hatte, daß ein französischer Kardinal überhaupt so töricht hatte sein können zu glauben, daß es sich lohnen würde, die Königin zu bestechen; sie hätte doch allerhöchstens versuchen können, den König zu beeinflussen, aber da der alte König Louis selbst auf niemanden Einfluß hatte, wäre es auch schon dabei geblieben.
Ein persönliche Demütigung tat schon weh, doch die Demütigung der eigenen Familie war noch viel schlimmer. Die Demütigung der eigenen gesellschaftlichen Stellung aber war eine schier unerträgliche Qual. Die grauenhafteste aller menschlichen Qualen jedoch war es, die eigene Nation gedemütigt zu sehen.
Und nun stand er hier auf einer armseligen Kanalbarkasse, einer amerikanischen Kanalbarkasse, die an der Mündung eines amerikanischen Kanals festgemacht war, und erwartete einen französischen General. Warum war dieser Kanal nicht französisch? Warum waren die Franzosen nicht die ersten gewesen, die diese raffinierten Schleusen erfunden und einen Kanal um die kanadische Seite der Wasserfälle gebaut hatten?
»Nun kocht nicht gleich vor Wut, mein lieber Frederic«, murmelte La Fayette.
»Ich koche nicht, mein lieber Gilbert.«
»Dann eben schnauben. Ihr schnaubt unentwegt.«
»Ich schnüffle. Ich habe eine Erkältung.« Kanada war wirklich der Abfallkübel der französischen Gesellschaft, dachte Frederic zum tausendstenmal. Selbst mit dem Adel, den es hierher verschlug, war es nicht weit her. Dieser Marquis de La Fayette, ein Mitglied des – nein, sogar ein Gründungsmitglied der Clubs der Feuillants, was praktisch besagte, daß er ein deklarierter Verräter gegen König Charles war. Demokratisiertes Geschwätz. Genausogut hätte er gleich ein Jakobiner sein können wie dieser Terrorist Robespierre. Natürlich hatte man La Fayette ins kanadische Exil geschickt, wo er nur wenig Schaden anrichten konnte. Das bedeutete, nur wenig Schaden außer, Frankreich auf diese ungehörige Weise zu demütigen.
»Unser neuer General hat mehrere Stabsoffiziere mitgebracht«, sagte La Fayette, »mitsamt Gepäck. Es scheint sinnlos, vom Schiff zu gehen und die erbärmliche Reise in Wagen und Kutschen hinter sich zu legen, wenn man auch alles zu Wasser befördern kann. So bekommen wir wenigstens Gelegenheit, einander kennenzulernen.«
Da La Fayette auf seine übliche grobschlächtige Art (eine Schande für die Aristokratie!) darauf bestand, die fragliche Angelegenheit ebenso grobschlächtig zu behandeln, blieb Frederic nichts anderes übrig, als sich auf sein Niveau herunterzubegeben und ebenso deutlich und offen zu reden. »Ein französischer General sollte nicht über fremden Boden reisen müssen, um seinen Posten zu erreichen!«
»Aber mein lieber Frederic, er wird doch keinen einzigen Fuß auf amerikanischen Boden setzen! Nur von Boot zu Boot, er bleibt die ganze Zeit auf dem Wasser.«
La Fayettes Geschwätz war nervtötend. Warum nur hatte Frederics Vater nicht ein kleines Stück länger in der Gunst des Königs bleiben können, damit Frederic lange genug in Frankreich geblieben wäre, um auf irgendeinen eleganten Posten befördert zu werden, beispielsweise zum Herrn des Italienischen Parademarsches oder so ähnlich – gab es überhaupt so etwas? –, jedenfalls irgendwohin, wo es anständiges Essen und Musik und Tanz und Theater gab – ah, Moliere! In Europa, wo er einem zivilisierten Feind die Stirn hätte bieten können, den Österreichern etwa oder den Preußen oder sogar – obwohl dies den Begriff zivilisiert doch ein wenig überstrapazieren hieß – den Engländern. Statt dessen war er nun hier gestrandet, saß für immer in der Falle – es sei denn, daß Vater sich wieder in die Gunst des Königs einschleichen konnte –, mit armseligen, ungebildeten Engländern konfrontiert, dem Abschaum der englischen Gesellschaft, ganz zu schweigen von den Holländern und Schweden und Deutschen – ach, er konnte es nicht einmal mehr ertragen, auch nur darüber nachzudenken. Und die Verbündeten waren sogar noch schlimmer!
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