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Der rote Prophet

Der rote Prophet

Titel: Der rote Prophet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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war er der Sache nie gekommen. Damit war das schwarze Geräusch gerade außer Reichweite, gerade hinter dem nächstgelegenen Baum. Zugleich aber blieb das Grün dort, wo er es gerade noch berühren konnte. Gerade eben. So daß er so tun konnte, als wäre er ein wahrer Roter anstatt eines Whisky-Roten, der ja in Wirklichkeit nur ein Weißer war.
    Doch heute nacht war es anders, zwei Monate lang war er ohne Branntwein gewesen, bis auf einen gelegentlichen Becher dann und wann, so daß vier Schlucke für ihn zu kräftig waren. Das Grün verschwand zusammen mit dem Schwarz. Doch das bekümmerte ihn nicht, heute nicht. Es bekümmerte ihn nicht, denn er mußte schlafen.
    Als er am Morgen erwachte, kehrte das schwarze Geräusch gerade zurück. Er war sich nicht sicher, ob es die Sonne gewesen war oder das Geräusch, was ihn geweckt hatte, und es war ihm auch gleichgültig. Einmal gegen den Spund klopfen, vier Schlucke, nicht mehr. Diesmal hielt sich das Landgespür in der Nähe, er konnte es ein wenig fühlen. Genug, um den Hasen in seinem Loch ausfindig zu machen.
    Ein dicker alter Stock. Hier ein Stück schneiden, dort anschneiden, damit in alle Richtungen splittrige Holzspitzen hervorragen.
    Lolla-Wossiky kniete sich vor dem Hasenbau nieder.
    »Ich bin sehr hungrig«, flüsterte er. »Und ich bin nicht sehr stark. Wirst du mir Fleisch geben?«
    Er strengte sich an, um die Antwort zu vernehmen, strengte sich an, um zu wissen, ob er im Recht war. Doch alles war zu weit weg, und die Landstimme der Hasen war zu leise. Früher einmal konnte er alle Stimmen hören, erinnerte er sich, viele, viele Meilen entfernt. Wenn das schwarze Geräusch jemals verschwinden sollte, würde er vielleicht wieder hören können. Doch jetzt hatte er keine Möglichkeit festzustellen, ob die Hasen einwilligten oder nicht.
    Daher wußte er auch nicht, ob er ein Recht darauf hatte. Er wußte nicht, ob er nahm wie ein roter Mann, gerade nur das, was das Land anbot, oder ob er stahl wie ein weißer Mann, der alles tötete, was er zu töten beliebte. Er hatte keine Wahl. Er schob den Stock in den Bau, drehte ihn. Er spürte, wie er erzitterte, hörte das Quieken, und zog ihn hervor, immer noch zuckend. Ein kleiner Hase, kein großer, nur ein kleiner Hase, der zappelte, um den Splittern zu entkommen, doch Lolla-Wossiky war schnell, kaum war der Hase am Ausgang erschienen, bereit, sich loszureißen und davonzuhuschen, als Lolla-Wossiky auch schon die Hand vorgeschoben hatte, den Hasen am Kopf festhielt, ihn ganz schnell in die Luft hob und herumwirbelte und ihn schüttelte. Als er ihn wieder senkte, war der kleine Hase tot, und Lolla-Wossiky trug ihn fort von dem Bau, zurück zum Faß, weil es sehr schlimm war, weil es eine leere Stelle im Land erzeugte, wenn man ein junges Tier häutete, während seine Verwandten einen sehen oder hören konnten.
    Er machte kein Feuer. Das war zu gefährlich, und er hatte auch nicht genug Zeit, um das Fleisch zu räuchern, nicht so nahe bei dem Fort des weißen Mörders Harrison. Es war ohnehin nicht sehr viel Fleisch; er aß es auf, roh, so daß er sehr viel kauen mußte, aber der Geschmack war kräftig und gut. Wenn man kein Fleisch räuchern konnte, das wußte der rote Mann, mußte man soviel davon im Bauch mit sich herumtragen, wie es nur ging. Er stopfte das Fell in die Hüfte seines Lendenschurzes, hob sich das Faß auf die Schultern und setzte sich gen Norden in Bewegung. Vor ihm leuchtete das weiße Licht, rief das Traumtier nach ihm und drängte ihn weiter. Ich werde dich aufwecken, sagte das Traumtier, ich werde deinem Traum ein Ende setzen.
    Der weiße Mann hatte von Traumtieren gehört. Der weiße Mann dachte, der rote Mann würde in den Wald hinausgehen und dort träumen. Dummer weißer Mann, er verstand nie etwas. Das ganze Leben war zunächst ein einziger langer Schlaf, ein einziger langer Traum. Im Augenblick der Geburt schlief man ein und wachte nicht mehr auf, wachte überhaupt nicht mehr auf, bis einen schließlich eines Tages das Traumtier rief. Dann ging man in den Wald, manchmal nur wenige Schritte weit, manchmal bis zum Ende der Welt. Man ging, bis man auf das Tief traf, das nach einem rief. Das Tier existierte nicht im Traum. Das Tier erweckte einen aus dem Traum. Das Tier zeigte einem, wer man war, lehrte einen, wo man im Land hingehörte. Dann kehrte man nach Hause zurück, endlich erwacht, und erzählte dem Schamanen und der Mutter und den Schwestern, wer das Traumtier war. Ein Bär? Ein Dachs?

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