Der rote Prophet
Lolla-Wossiky blieb sehr lange auf der ersten Brücke stehen. Von so etwas hatte er noch nie gehört. Hier stand er an einer Stelle, wo eigentlich Wasser hätte sein sollen, und doch war die Brücke so kräftig und schwer, die Wände so dick, daß er das Wasser überhaupt nicht mehr sehen oder hören konnte.
Und der Fluß verabscheute es. Lolla-Wossiky konnte nun hören, wie zornig er war, wie begierig, nach der Brücke zu greifen und sie niederzureißen. Der Weg des weißen Mannes, dachte Lolla-Wossiky, der weiße Mann muß erobern, muß dem Land die Dinge entreißen.
Und doch fiel ihm auf der Brücke noch etwas anderes auf. Obwohl in seinem Körper fast gar kein Branntwein mehr war, war das schwarze Geräusch auf der Brücke ruhiger geworden. Er konnte so viel von dem grünen Schweigen vernehmen, wie schon seit langem nicht mehr. Als wenn das schwarze Geräusch teilweise vom Fluß käme. Wie konnte das sein? Der Fluß hegte doch keinen Groll gegen den roten Mann. Und kein vom weißen Mann erbautes Ding konnte den roten Mann näher an das Land heranführen. Und doch war es genau dies, was hier geschah. Lolla-Wossiky eilte den Weg weiter; vielleicht würde er die Sache verstehen, nachdem sein Traumtier ihn aufgeweckt hatte.
Der Weg mündete in einen Ort, der aus ein paar Weiden und einigen Gebäuden des weißen Mannes bestand. Zahlreiche Wagen. Angepflockte Pferde, die Weidegras fraßen. Das Geräusch von hallenden Metallhämmern, von schlagenden Äxten im Wald, das Kreischen von Sägen. Eine Stadt des weißen Mannes.
Und doch keine richtige Stadt des weißen Mannes. Am Rande der Lichtung blieb Lolla-Wossiky stehen. Warum ist diese Stadt des weißen Mannes anders, was fehlt hier, was habe ich eigentlich erwartet?
Der Palisadenzaun. Es gab keinen Palisadenzaun.
Wo versteckten die weißen Männer sich dann? Wo sperrten sie betrunkene rote und weiße Diebe ein? Wo verbargen sie ihre Gewehre?
»Hebt an!« Die Stimme eines weißen Mannes, laut hallend wie eine Glocke in der dichten Luft eines Sommernachmittags.
Auf einem grasbewachsenen Hügel, vielleicht eine halbe Meile entfernt, erhob sich gerade ein seltsames Holzding. Lolla-Wossiky konnte die Männer nicht sehen, die es in die Höhe hoben; sie waren alle hinter der Hügelkuppe verborgen. Doch er sah, wie ein frischer Holzrahmen sich erhob, am oberen Ende waren Stangen zu sehen, mit denen er in Stellung gebracht wurde.
»Und jetzt die Seitenwand! Hebt an! Hebt an! Hebt an!«
Nun erhob sich ein weiterer Rahmen, langsam, ganz langsam, etwas seitlich vom ersten. Als beide Rahmen aufrecht standen, trafen sie an einer Kante aufeinander. Zum ersten Mal erblickte Lolla-Wossiky nun die Männer. Weiße Jungen krabbelten an den Rahmen hoch und hoben ihre Hämmer, um sie wie Tommy-hawks herabsausen zu lassen und sich das Holz zu unterwerfen. Nachdem sie eine Weile zugeschlagen hatten, richteten sie sich auf, alle drei, standen oben auf den Wandrahmen, die Hämmer wie Speere in der Hand, die sie gerade aus dem Körper eines Büffels herausgezogen hatten. Die Stangen, mit denen die Wände aufgerichtet worden waren, wurden abgezogen. Die Wände blieben stehen, stützten einander. Lolla-Wossiky hörte ein Jubeln.
Dann erschienen plötzlich die weißen Männer alle oben auf der Hügelkuppe. Haben sie mich gesehen? Werden sie jetzt kommen, um mich zu verjagen oder einzusperren? Nein, sie gingen einfach nur den Hügel hinunter zu ihren Pferden und Wagen. Lolla-Wossiky verschmolz wieder mit dem Wald.
Er trank vier Schlucke aus dem Faß, dann erkletterte er einen Baum und setzte das Faß an einer Stelle ab, wo drei dicke Äste sich gabelten. Schön fest und sicher. Schönes, dichtes Laubwerk; niemand konnte das Faß vom Boden aus sehen, nicht einmal ein roter Mann.
Lolla-Wossiky nahm den längeren Weg, doch schon bald war er oben auf dem Hügel, wo die neuen Wände standen. Lolla-Wossiky sah lange hin, verstand aber nicht, was das für ein Gebäude werden sollte. Das Haus war sehr groß. Größer als alles, was Lolla-Wossiky je von weißer Hand erbaut gesehen hatte, höher als das Staket.
Erst die seltsamen Brücken, so stabil wie Häuser. Und nun dieses seltsame Gebäude, so hoch wie die Bäume. Lolla-Wossiky trat aus dem schützenden Wald hinaus auf die offene Weide, vor und zurück schwankend, weil der Boden nie eben blieb, wenn er Branntwein getrunken hatte. Als er das Gebäude erreicht hatte, stieg er auf den hölzernen Boden. Der Boden des weißen Mannes, die Wände
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