Der rote Prophet
wenn das Land wie Wasser aussah? Also dachten alle, daß Lolla-Wossiky betrunken wäre, daß er taumelte wie ein Whisky-Roter, daß er die ganze Zeit zu Boden stürzte. Wo bekommt der Kerl nur den Branntwein her? fragten sie sich alle. Keiner hat mehr Branntwein, aber Lolla-Wossiky betrinkt sich immer noch, wie macht er das bloß? Nicht einer hatte Augen, um zu sehen, daß Lolla-Wossiky gar nicht betrunken war. Hörten sie denn nicht, wie er sprach, ganz klar sprach, überhaupt nicht wie ein Betrunkener? Rochen sie denn nicht, daß er gar nicht nach Branntwein stank? Niemand erriet es, niemand dachte darüber nach. Sie wußten nur, Lolla-Wossiky braucht immer Branntwein. Nie kam jemand darauf, daß Lolla-Wossiky vielleicht unter Schmerzen litt, die so schlimm waren, daß er hoffte, er würde sterben.
Und wenn er dann die Augen schloß, um die Welt daran zu hindern, zu wogen wie der Fluß, meinten alle, daß er am Schlafen sei, und dann sagten sie alle möglichen Dinge. Ach, Dinge sagten sie, die eigentlich kein Roter hören sollte. Das hatte Lolla-Wossiky sehr schnell herausbekommen, und wenn das schwarze Geräusch so schlimm wurde, daß er sich am liebsten auf den Grund des Flusses gelegt hätte, um das Geräusch für immer abzuhalten, torkelte er statt dessen zum Büro des weißen Mörders Harrison und stürzte an der Tür zu Boden, um zu lauschen. Das schwarze Geräusch war zwar sehr laut, aber es war kein Ohrengeräusch, so daß er trotzdem noch die Stimmen hören konnte, auch wenn das schwarze Geräusch in seinem Kopf brüllte. Er strengte sich sehr an, um jedes Wort unter der Tür hindurch zu hören. Er wußte alles, was der weiße Mörder Harrison zu allen sagte.
Lolla-Wossiky erzählte niemandem, was er hörte.
Lolla-Wossiky erzählte niemandem jemals die Wahrheit. Sie glaubten ihm ohnehin nicht. Du bist betrunken, Lolla-Wossiky. Schäm dich, Lolla-Wossiky. Und Ta-Kumsaw, der dastand und nie etwas sagte, oder wenn er es doch tat, so kraftvoll war und so sehr im Recht, wo Lolla-Wossiky doch so schwach war und so sehr im Unrecht.
Nach Norden ging Lolla-Wossiky, immer weiter nach Norden. Tausend Schritte nach Norden, bevor ich eine Kleinigkeit trinke. Nach Norden, während das schwarze Geräusch so laut ist, daß ich schon gar nicht mehr weiß, wo Norden ist, aber dennoch nach Norden, weil ich nicht wage stehenzubleiben.
Tiefdunkle Nacht. Das schwarze Geräusch so schlimm, daß das Land mit Lolla-Wossiky nicht spricht. Sogar das weiße Licht des Traumtiers ist weit entfernt und schein von überallher gleichzeitig zu kommen. Das eine Auge sieht die Nacht, das andere sieht schwarzes Geräusch. Muß stehenbleiben. Muß stehenbleiben.
Ganz vorsichtig fand Lolla-Wossiky einen Baum, setzte das Faß ab, nahm Platz und lehnte sich gegen den Baum, das Faß zwischen den Beinen. Ganz langsam, weil er nichts sehen konnte, befühlte er das ganze Faß, bis er den Spund gefunden hatte. Klopf, klopf, klopf mit dem Tommy-hawk, klopf, klopf, klopf, bis der Spundzapfen locker war. Bedächtig zupfte er ihn mit den Fingern hervor. Dann beugte er sich vor und legte den Mund über das Spundloch, eng wie ein Kuß, so eng wie ein Säugling am Nippel der Brust; und dann hoch mit dem Faß, ganz langsam, ganz langsam, nicht sehr hoch, da ist schon der Geschmack, der Branntwein, ein Schluck, zwei Schlucke, drei Schlucke, vier.
Nur vier. Vier ist das Ende. Vier ist die wahre Zahl, die ganze Zahl, die quadratische Zahl. Vier Schlucke.
Er schob den Spund wieder ins Loch und klopfte ihn ganz fest. Schon steigt ihm der Branntwein zu Kopf. Schon verstummt das schwarze Geräusch.
Es wird still. Eine wunderschöne, grüne Stille.
Doch das Grün verschwindet ebenfalls, zusammen mit dem Schwarz. Jedesmal geht das so. Das Landgespür, die grüne Vision, die jeder Rote hat, niemand hat sie jemals klarer gesehen als Lolla-Wossiky. Doch nun folgt ihr jedesmal, wenn sie kommt, sofort das schwarze Geräusch. Und wenn das schwarze Geräusch verstummt, wenn der Branntwein vertreibt, folgt darauf jedesmal das Verblassen des grünen, lebendigen Schweigens.
Dann bleibt Lolla-Wossiky zurück wie ein Weißer. Vom Land abgeschnitten. Mit krachendem Unterholz unter seinen Füßen. Mit abknickenden Ästen. Mit Stolperwurzeln. Mit Tieren, die davonlaufen.
Lolla-Wossiky hoffte, hoffte jahrelang, genau die richtige Menge Branntwein ausfindig zu machen, die das schwarze Geräusch ertränkte und die grüne Vision dennoch aufrechterhielt. Vier Schlucke, näher
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