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Der rote Prophet

Der rote Prophet

Titel: Der rote Prophet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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erzeugte für einen kurzen Augenblick einen Wirbelwind, der die Asche aufsaugte und sie auseinanderstieben ließ, bis sie wie Staub wieder niederging.
    Einfach so: Nichts war vom Feuer übriggeblieben bis auf feinen Staub, der sich wie Nebel über die ganze Lichtung verteilte.
    Oh, die Roten heulten und sprangen und tanzten und schlugen sich selbst auf Brust und Schulter. Und während sie sich aufführten wie bei einer irischen Beerdigung, lockerte Al seine und Measures Fesseln, hoffte wider besseren Wissen, daß es ihnen vielleicht doch noch gelingen würde zu fliehen, bevor ihre Familie und die Nachbarn sie fanden und das Schießen und Töten begann.
    Measure spürte natürlich, wie sich die Fesseln lockerten, und warf Alvin einen scharfen Blick zu; bis zu diesem Zeitpunkt hatte ihn das Geschehen ebenso verwirrt wie die Roten. Natürlich wußte er sofort, daß Alvin dahintersteckte, doch Alvin hatte ihm ja nicht erklären können, was er vorhatte, so daß Measure davon ebenso überrascht worden war wie die anderen. Nun aber sah er Alvin an und nickte, und dann begann er damit, seine Arme aus den Fesseln zu winden. Bisher hatte keiner der Roten es bemerkt, und vielleicht würden sie doch noch einen Vorsprung bekommen, oder vielleicht – ganz vielleicht – würden die Roten so aufgeregt sein, daß sie nicht einmal versuchen würden, sie zu verfolgen.
    Doch in diesem Augenblick änderte sich alles schlagartig. Im Wald ertönte Geheul, das sich plötzlich wiederholte, bis es sich anhörte wie dreihundert Eulen im Kreis. Measure mußte einen Augenblick gedacht haben, daß Al auch dies bewirkt hatte, so jedenfalls sah er seinen kleinen Bruder an – aber die Roten wußten sofort, was es war. Die Furcht in ihren Mienen verriet Al jedoch, daß ihre Pläne offensichtlich durchkreuzt worden waren.
    Aus dem Wald, der die Lichtung umgab, traten zunächst Dutzende, dann einhundert Rote hervor. Alle trugen sie Pfeil und Bogen – nicht eine Muskete war darunter –, und so, wie sie sich kleideten und ihr Haar trugen, erkannte Al, daß es Shaw-Nee waren, noch dazu Anhänger des Propheten.
    Einer der Roten trat aus der Schar hervor, ein hochgewachsener, kräftiger Mann mit einem Gesicht so hart und scharf wie Stein. Er feuerte einige hart klingende Worte ab, und sofort begannen die gestellten Roten zu plappern, zu faseln, zu flehen. Sie benahmen sich wie die Kinder, dachte Al, wie Kinder, die etwas getan hatten, was eigentlich verboten war, und die nun von ihrem Vater dabei erwischt worden waren.
    Dann vernahmen sie vor allen ein Wort in all dem Gejammer – einen Namen: Ta-Kumsaw. Als sah zu Measure hinüber, um festzustellen, ob er es gehört hatte, und Measure blickte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, um ihn das gleiche zu fragen. Und beider Lippen formten zur gleichen Zeit denselben Namen: Ta-Kumsaw.
    Hieß das etwa, daß Ta-Kumsaw hier das Kommando hatte? War er zornig auf ihre Peiniger, weil sie beim Martern versagt hatten oder weil sie die weißen Jungen überhaupt gefangengenommen hatten? Die Roten würden es ihnen gewiß nicht erklären. Sicher konnte Al sich nur dessen sein, was sie taten. Die Neuankömmlinge nahmen den anderen die Musketen ab und führten sie in den Wald. Nur ein Dutzend Roter blieb bei Al und Measure zurück. Unter ihnen auch Ta-Kumsaw.
    »Es heißt, daß Ihr Finger aus Stahl habt«, sagte Ta-Kumsaw.
    Measure blickte antwortheischend zu Al hinüber, doch Al fiel nichts ein. Also antwortete Measure ihm doch, indem er die Hände hob und mit den Fingern zappelte. »Sind ganz gewöhnliche Finger«, meinte er.
    Ta-Kumsaw streckte den Arm aus und nahm ihn bei der Hand – es mußte ein kräftiger, harter Griff sein, denn Measure versuchte die Hand zurückzuziehen, konnte es aber nicht. »Eisenhaut«, sagte Ta-Kumsaw. »Läßt sich nicht mit Messer schneiden. Läßt sich nicht verbrennen. Jungen aus Stein.«
    Er zog an Measure, bis dieser aufrecht stand, dann schlug er ihm mit der freien Hand hart auf den Oberarm. »Steinjunge, wirf mich zu Boden!«
    »Ich kann nicht mit dir ringen«, widersprach Measure. »Ich will mit niemanden kämpfen.«
    »Wirf mich!« befahl Ta-Kumsaw. Und dann löste er seinen Griff etwas, stemmte einen Fuß vor und wartete, bis Measure ebenfalls seinen Fuß vorstellte. Mit abgewandtem Gesicht, Mann gegen Mann, wie die Roten es bei ihren Spielen taten. Nur daß dies kein Spiel war, nicht für diese Jungen, die dem Tod ins Auge geblickt hatten und immer noch keine Gewißheit

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