Der rote Prophet
hatten, daß er hinter der nächsten Ecke nicht doch noch auf sie lauerte.
AI wußte nicht, was er tun sollte, aber wollte irgend etwas tun, um die sich wandelnden Ereignisse wieder einzuholen. So dachte er kaum über die Konsequenzen nach, als er im gleichen Augenblick, da Measure und Ta-Kumsaw aneinander zerrten und drückten, den Boden unter Ta-Kumsaws Fuß ganz locker werden ließ, so daß dieser durch seine Kraft plötzlich in den Schmutz stürzte.
Die anderen Roten hatten über den Ringkampf gelacht und gescherzt, doch als sie nun sahen, daß der größte Häuptling aller Stämme, ein Mann, dessen Name von Boston bis New Orleans jedermann kannte, so zu Boden ging, erstarb ihr Lachen plötzlich. Auf der ganzen Lichtung war kein einziges Geräusch mehr zu vernehmen. Ta-Kumsaw stand auf und musterte das Erdreich unter seinen Füßen, kratzte mit dem Fuß daran. Inzwischen war es natürlich wieder fest geworden. Doch er trat ein paar Schritte zur Seite aufs Gras und streckte erneut die Hand vor.
Diesmal war Measure schon etwas selbstbewußter und griff nach der Hand – doch Ta-Kumsaw riß sie im letzten Augenblick beiseite. Ganz still stand er da, ohne Measure oder Al oder sonst jemanden anzuschauen, starrte nur in die Leere, seine Miene war hart und gefaßt. Dann wandte er sich an die anderen Roten und ließ ein Stakkato von Shaw-Nee-Lauten auf sie los. Es hörte sich nicht sonderlich freundlich an, und als er damit fertig war, waren Al und Measure wieder gefesselt. Und als ihre zerfetzten Unterhosen von ihnen herabfielen und sie stolpern ließen, kam Ta-Kumsaw mit wütendem Gesicht zu ihnen hinüber und riß ihnen die Wäsche mit bloßen Händen vom Leib. Doch dies war nicht die Zeit für Proteste. Sie wußten nicht, wo Ta-Kumsaw sie hinbrachte, und da ihnen auch nichts anderes übrigblieb als mitzukommen, hatte es wohl wenig Zweck, zu fragen.
Noch nie in ihrem Leben waren Al und Measure so lang oder so weit gelaufen. Eine Stunde nach der anderen, Meile um Meile, nie allzu schnell, aber ohne Pause. Auf diese Weise konnte sich ein Roter schneller zu Fuß fortbewegen als ein Weißer auf einem Pferd.
Al bemerkte sehr schnell, daß die Roten anders durch den Wald gingen als er und Measure. Die einzigen Geräusche, die er hörte, waren seine und Measures Schritte. Da Al ein Stück weiter hinten ging, konnte er Measure beobachten. Der Rote, der Measure führte, pflegte Äste mit dem Körper beiseite zu biegen, die daraufhin nachgaben. Doch sobald Measure das gleiche versuchte, peitschten sie gegen seine Haut und brachen ab. Die Roten traten auf Zweige, ohne das leiseste Geräusch zu machen, während Al an derselben Stelle stolperte oder sich an der rauhen Rinde die Haut aufriß. Als Junge war Al es gewohnt, barfuß zu gehen, so daß seine Fußsohlen eine Hornhaut hatten. Measure trug schon seit einigen Jahren Erwachsenenstiefel, und Al sah, wie er bereits nach einer halben Meile zu bluten begann.
Und so kam Al auf die Idee, daß er die Füße seines Bruders heilen könnte. Er versuchte es, doch am Anfang fiel es ihm schwer, weil ihm das Laufen die Konzentration nahm. Aber er gab nicht auf, dachte nicht mehr an das Laufen und begab sich im Geiste ins Innere der Wunden. Danach war alles ein Kinderspiel. Er heilte die Füße, machte sie zäher, schwieliger. Dann spürte er, wie Measures Körper nach mehr Atemluft verlangte; so drang er im Geiste in die Lungen seines Bruders ein, um sie zu öffnen. Als Measure nun einatmete, konnte sein Körper mehr aus der Luft herausholen. Al hatte zwar keine genaue Vorstellung davon, was er da tat, aber er wußte, daß es funktionierte, weil der Schmerz in Measures Körper nachließ und sein Bruder nicht mehr so schnell ermüdete und nach Luft japste.
Als er seine Aufmerksamkeit wieder auf sich selbst richtete, stellte Al fest, daß er die ganze Zeit, während er Measure geholfen hatte, auf keinen Zweig getreten war, der unter ihm zerbrochen wäre, und er war auch von keinem zurückschnellenden Ast gepeitscht worden. Jetzt aber begann er wieder zu stolpern und Astwerk zu zerbrechen und sich die Haut aufzureißen. Zunächst glaubte er, daß dies auch vorher der Fall gewesen sei, nur daß er es eben nicht so recht bemerkt hätte, weil er mit Measure beschäftigt gewesen war. Aber kaum hatte er sich das eingeredet und begonnen, es selbst zu glauben, als er merkte, daß sich der Klang der Umwelt verändert hatte. Nun hörte er nur Atmen und bleichhäutige Füße auf dem Boden
Weitere Kostenlose Bücher