Der rote Prophet
einige Kurven in die Luft, um das Muster darzustellen, das Measures Finger in der Schneide des Beils hinterlassen hatten. »Hast du das getan?«
»Das ist nicht recht, einem Mann die Finger abzuhacken!«
Ta-Kumsaw lachte laut auf. »Sehr gut!« Dann beugte er sich vor. »Die Talente des weißen Mannes machen Lärm, sehr viel Lärm. Aber das, was du tust, ist so leise, daß niemand es sieht.«
Al wußte nicht, wovon er sprach.
In der Stille, die nun folgte, sprach Measure kühner denn je. »Was habt Ihr mit uns vor, Häuptling Ta-Kumsaw?«
»Morgen werden wir wieder laufen«, sagte er.
»Warum laßt Ihr uns dann nicht einfach nach Hause gehen? Inzwischen müssen mindestens hundert Nachbarn von uns die Verfolgung aufgenommen haben, so wild und wütend wie Hornissen. Das wird ziemlich viel Ärger geben, wenn Ihr uns nicht nach Hause zurück laßt.«
Ta-Kumsaw schüttelte den Kopf. »Mein Bruder will Euch haben.«
Measure sah erst Alvin an, dann blickte er wieder zu Ta-Kumsaw hinüber. »Ihr meint den Propheten?«
»Tenskwa-Tawa«, erklärte Ta-Kumsaw.
Measure machte ein angewidertes Gesicht. »Soll das heißen, daß er, nachdem er vier Jahre lang sein Prophetstown aufgebaut hat, ohne daß irgend jemand ihm Schwierigkeiten gemacht hat, während der weiße und der rote Mann richtig gut miteinander auskamen, daß er jetzt weiße Gefangene nimmt und sie martert und ...«
Ta-Kumsaw klatschte einmal laut in die Hände. Measure verstummte. »Chok-Taw haben euch gefangen! Chok-Taw haben versucht, euch umzubringen! Meine Männer töten nicht, es sei denn, um unser Land und unsere Familien vor weißen Dieben und Mördern zu beschützen. Und Tenskwa-Tawas Leute töten überhaupt nicht.«
Zum ersten Mal hörte Al davon, daß es zwischen Ta-Kumsaws Leuten und denen des Propheten Unterschiede gab.
»Woher habt Ihr dann gewußt, wo wir waren?« wollte Measure wissen. »Woher habt Ihr gewußt, wir Ihr uns finden könnt?«
»Tenskwa-Tawa hat euch gesehen«, erwiderte Ta-Kumsaw. »Er hat mir gesagt, ich soll mich beeilen und euch holen, euch vor den Chok-Taw retten, nach Mizogan bringen.«
Measure, der mit Brustwehr-Gottes' Landkarten besser vertraut war als Alvin, erkannte den Namen wieder. »Das ist der große See, wo Fort Chicago liegt.«
»Wir gehen nicht nach Fort Chicago«, widersprach Ta-Kumsaw. »Wir gehen zum heiligen Ort.«
»Zu einer Kirche?« fragte Alvin.
Ta-Kumsaw lachte. »Ihr Weißen! Wenn ihr einen Ort heilig macht, baut ihr Mauern um ihn herum, damit nichts von dem Land hineinkommt. Euer Gott ist nichts und nirgends, deshalb baut ihr eine Kirche, in der nichts Lebendiges ist, eine Kirche, die irgendwo sein könnte, es spielt keine Rolle – nichts und nirgendwo.«
»Nun, was macht einen Ort denn sonst heilig?« wollte Alvin wissen.
»Wenn der rote Mann dort mit dem Land spricht und das Land ihm antwortet.« Ta-Kumsaw grinste. »Schlaft jetzt. Wir werden losgehen, solange es noch dunkel ist.«
»Es wird aber ziemlich kühl werden, heute nacht«, meinte Measure.
»Die Frauen werden euch Decken bringen. Krieger brauchen keine. Wir haben Sommer.« Ta-Kumsaw entfernte sich einige Schritte, dann drehte er sich wieder zu Alvin um. »Weaw-Moxiky ist hinter dir gegangen, weißer Junge. Er hat gesehen, was du getan hast. Versuche nicht, dein Geheimnis vor Tenskwa-Tawa zu verbergen. Er wird es merken, wenn du lügst.« Dann war der Häuptling auch schon verschwunden.
»Wovon redet der?« fragte Measure.
»Ich wünschte, ich wüßte es«, antwortete Al. »Es wird mir schwerfallen, die Wahrheit zu sagen, wenn ich gar nicht weiß, was die Wahrheit ist.«
Schon bald kamen die Decken. Al kuschelte sich an seinen großen Bruder, mehr um Mut zu schöpfen als wegen der Wärme. Gemeinsam flüsterten sie noch eine Weile, versuchten, einen Sinn in das Ganze zu bringen. Wenn Ta-Kumsaw von Anfang an nichts mit der Sache zu tun gehabt hatte, weshalb hatten die Chok-Taw dann seinen und den Namen des Propheten in die Sättel geritzt? Und selbst wenn das ein Täuschungsmanöver gewesen sein sollte, würde es einen schlimmen Eindruck machen, wenn Ta-Kumsaw schließlich doch die Gefangenen bei sich hatte und sie zum Lake Mizogan brachte, anstatt sie einfach nach Hause zurückkehren zu lassen. Es würde mächtig viel Reden verlangen, um diese Sache nicht in einen Krieg münden zu lassen.
Doch schließlich wurden sie müde und schliefen ein.
8. Freund der Roten
Sie versammelten sich auf der Lichtung, etwa dreißig weiße
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