Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Rote Sarg

Der Rote Sarg

Titel: Der Rote Sarg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
Vom Netzwerk:
»wenn wir auf eure Gräber pissen.«
    Der Panzerkommandant vollführte mit dem Zeigefinger eine Kreisbewegung; das Zeichen, den Motor wieder anzulassen.
    Die Besatzung nickte. Sie schlossen die Abdeckung und stiegen ins Fahrzeug.
    Erneut erwachte der T-34 röhrend zum Leben, das Fahrzeug machte einen Satz nach vorn, furchte sich voran und wühlte Dreck und Steine auf. Als er einen unmarkierten Pfad erreichte, blockierte der Fahrer eine der Ketten; der Panzer drehte auf der Stelle, bis sich wieder beide Ketten in Bewegung setzten. Und dann krachte der T-34 durchs Unterholz und walzte alles nieder, was ihm im Weg stand. Bald war von ihm nichts mehr zu sehen, nur noch sein Motor war zu hören, bis auch er in der Ferne verklang.

    In einer dunklen schmalen Seitengasse, zwei Straßenzüge vom Kreml entfernt, schob Pekkala einen langen Schlüssel ins Schloss einer verbeulten Tür. Die Tür war mit Eisen beschlagen und früher einmal heiter gelb gestrichen gewesen, als sollte damit mehr Licht in das Gebäude gelockt werden als in den wenigen Minuten pro Tag, in denen direkt die Sonne darauf schien. Von der Farbe aber war mittlerweile kaum noch etwas zu sehen, und das, was noch übrig war, hatte die Tönung von altem Firnis angenommen.
    Pekkala stieg zum zweiten Stock hinauf, stapfte schwer über die ausgetretene Holzstiege, während seine Finger über das schwarze Metallgeländer strichen. Eine von verstaubten Spinnweben bedeckte Glühbirne war die einzige Lichtquelle. In einer dunklen Ecke saß eine alte graue, mattfellige Katze auf einem gebrochenen Stuhl. Leere Zinkkohleeimer stapelten sich vor einem Flur, Kohlestaub schimmerte auf dem Läufer.
    Im zweiten Stock aber änderte sich alles. Hier waren die Wände frisch gestrichen. An einem Ende des Flurs stand ein hölzerner Kleiderständer, an einem krummen Haken hing ein Regenschirm. An der Tür stand in schwarzen Lettern Pekkalas Name, darunter das Wort »Ermittler«. Darunter, in kleineren Lettern, war »Kirow, Assistent von Inspektor Pekkala« zu lesen.
    Jedes Mal, wenn Pekkala den zweiten Stock erreichte, dankte er insgeheim seinem wählerischen Assistenten.
    Wenn er sein Büro betrat, kam es Pekkala meist so vor, als hätte er sich in ein seltsames Arboretum verirrt. Überall, wo Platz war, standen Pflanzen – Tomaten waren zu sehen, die ihren süß-modrigen Duft verströmten, daneben die Schmolllippen von Orchideenblüten sowie die orange- und purpurfarbenen, schnabelförmigen Blüten von Strelitzien. Ihre Blätter wurden täglich abgestaubt, die Erde wurde feucht, aber nicht nass gehalten, darauf waren die Abdrücke von Kirows Fingern zu sehen, der gewohnheitsmäßig prüfend die Erde betastete, als würde er ein Kleinkind unter eine Decke betten.
    Die Luft hatte fast etwas Drückendes, Schwüles, wie im Urwald, dachte Pekkala, und wenn er seinen Schreibtisch erblickte, der hinter den Blättern kaum zu sehen war, drängte sich ihm der Eindruck auf, dass so sein Büro aussehen müsste, wenn plötzlich alle Menschen aus der Welt verschwinden und die Pflanzen die Herrschaft übernehmen würden.
    Heute aber roch es im Büro nach Essen. Es war Freitag, der Tag in der Woche, in dem Kirow ihm ein Essen zubereitete. Mit einem zufriedenen Seufzen sog Pekkala den Geruch von Braten und Gewürznelken ein.
    Kirow, noch in Uniform, war über den Herd gebeugt, der eine Ecke des Raums einnahm. Leise summend rührte er mit einem Holzlöffel in einem gusseisernen Topf.
    Als Pekkala die Tür schloss, fuhr der junge Mann herum. »Inspektor! Sie kommen gerade rechtzeitig«, sagte er und hatte den Löffel wie einen Zauberstab erhoben.
    »Sie wissen, Sie müssen sich nicht die Mühe machen«, sagte Pekkala und versuchte, überzeugend zu klingen.
    »Wenn es nach Ihnen ginge«, erwiderte Kirow, »würden wir dreimal am Tag Fleischkonserven aus Armeebeständen essen, und meine Geschmacksknospen würden Selbstmord begehen.«
    Pekkala nahm zwei Steingutschalen vom Regal und trug sie zum Fensterbrett hinüber. Aus einer Schublade des Schreibtisches holte er zwei Metalllöffel. »Was haben Sie uns heute gemacht?«, fragte er und spähte Kirow über die Schulter. Im Topf erkannte er dunkle Sauce, ein Bratenstück, Kartoffeln, Esskastanien und ein Bündel mit gelben Halmen.
    »Buschenina« antwortete Kirow und kostete von der Spitze seines Holzlöffels.
    »Was ist das?«, fragte Pekkala und deutete auf das Bündel. »Sieht aus wie Gras.«
    »Kein Gras«, erklärte Kirow. »Heu.«
    Pekkala

Weitere Kostenlose Bücher