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Der Rote Sarg

Der Rote Sarg

Titel: Der Rote Sarg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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eine Woche alte Bartstoppel zum Vorschein.
    Vermoderte Fensterläden hingen schief an den Rahmen, die Tür war eingetreten und lag auf dem Boden. Löwenzahn wuchs aus den Ritzen der Holzdielen.
    Er stellte die Zündapp auf den Ständer, zog die Waffe und trat vorsichtig ins Haus. Den Revolver zu Boden gerichtet, ging er über die knarrenden Bretter. Graues Licht fiel durch die Spalten der Fensterläden. Zwei drachenköpfige Feuerböcke starrten ihn aus dem offenen Kamin an.
    »Da sind Sie ja«, erklang eine Stimme.
    Der Zündapp-Fahrer zuckte zusammen, ließ aber die Waffe gesenkt. Reglos starrte er in die Schatten. Dann entdeckte er einen Mann, der an einem Tisch im Raum nebenan saß, der ehemaligen Küche. Der Fremde lächelte und winkte ihm langsam, bedächtig zu. »Schönes Motorrad«, sagte er.
    Der Fahrer steckte seinen Revolver weg und trat in die Küche.
    »Sehr pünktlich«, sagte der andere. Vor ihm auf dem Tisch lag eine Tokarew-Automatikpistole, dazu zwei kleine Metallbecher, nicht größer als Eierschalen. Daneben stand eine ungeöffnete Flasche mit georgischem Tschatscha-Wodka. Ein zweiter Stuhl war an die gegenüberliegende Tischseite gestellt, damit der Fahrer Platz nehmen konnte. »Wie war die Fahrt?«, fragte der andere.
    »Haben Sie alles?«, wollte der Fahrer wissen.
    »Natürlich.« Der andere griff in seinen Mantel und zog ein zusammengerolltes Dokumentenbündel heraus. Klatschend ließ er es auf den Tisch fallen. Von der verdreckten Oberfläche stieg Staub auf.
    »Das ist alles?«, fragte der Fahrer.
    Beruhigend patschte der andere auf das Bündel. »Vollständige schematische Darstellung des gesamten Konstantin-Projekts.«
    Der Zündapp-Fahrer stellte einen Fuß auf den Stuhl und rollte das Hosenbein hoch. An der Wade war mit Klebeband ein Lederumschlag befestigt. Er löste das Klebeband und fluchte leise, als die Haare am Bein mit abgezogen wurden. Dann holte er einen Stoß Geldscheine aus dem Umschlag und legte ihn auf den Tisch. »Zählen Sie es«, sagte er.
    Der andere gehorchte; seine Fingerspitzen flogen über die Scheine.
    Irgendwo über ihnen auf den Dachsparren trillerten Stare und klackten mit den Schnäbeln.
    Nachdem der andere zu Ende gezählt hatte, füllte er die kleinen Becher mit Wodka und prostete dem Fahrer zu. »Im Namen der Weißen Gilde möchte ich Ihnen danken. Auf die Gilde und den Untergang des Kommunismus!«
    Der Fahrer rührte den Becher nicht an. »Das war’s?«, fragte er.
    »Ja!« Der Mann kippte seinen Wodka, nahm den zweiten Becher, prostete dem Fahrer nochmals zu und leerte auch diesen Becher. »Ich würde sagen, das war’s!«
    Der Fahrer nahm die Dokumente, schob sich das Bündel in die Innentasche des Mantels und sah sich um. Er betrachtete die Baldachine aus Spinnweben, die runzeligen Tapeten, die Risse, die wie Wachstumslinien eines Schädels die Decke überzogen. Bald bist du wieder daheim, dachte er. Dann kannst du das alles vergessen.
    »Zigarette gefällig?«, fragte der andere. Er legte ein Zigarettenetui auf den Tisch und darauf ein Metallfeuerzeug.
    »Das nächste Mal vielleicht.« Der andere lächelte.
    Der Fahrer drehte sich um und wollte zu seinem Motorrad zurück.
    Weiter als drei Schritte kam er nicht. Der andere griff sich die Tokarew, visierte, ohne sich zu erheben, mit ausgestrecktem Arm den Fahrer an und schoss ihm in den Hinterkopf. Das Geschoss durchschlug den Schädel und riss einen Teil der Stirn heraus. Der Fahrer sackte wie eine Marionette, deren Fäden man gekappt hatte, zu Boden.
    Der andere stand nun auf, ging um den Tisch herum und drehte mit dem Stiefel den Toten um. Dann beugte er sich nach unten und zog die Dokumente aus der Innentasche des Mantels.
    »Dann trinkst du eben jetzt, Faschistenschwein«, sagte er. Er holte die Wodkaflasche und schüttete den Inhalt über Kopf, Schultern und Beine des Fahrers. Als sie leer war, schleuderte er sie gegen die Wand. Das schwere Glas zerbrach nicht.
    Der Mann verstaute das Geld und die Dokumente in seiner Tasche, nahm die Pistole, die kleinen Becher und die Zigarettenschachtel. Auf dem Weg nach draußen fuhr er mit dem Daumen über das kleine Metallrädchen des Feuerzeugs, die Flamme sprang aus dem Docht, und er ließ das Feuerzeug auf den Toten fallen. Mit dem Geräusch eines im Wind schlagenden Vorhangs fing der Alkohol Feuer.
    Der Mann ging hinaus in den Hof, trat an das Motorrad und strich mit den Fingerspitzen über den Zündapp-Namenszug auf dem Tank. Dann saß er auf, löste Haube

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