Der Rote Sarg
bitten!«
Vorsichtig biss Pekkala durch die dünne glänzende Schale in das gelbe Fruchtfleisch. Er kniff die Augen zusammen, als er den säuerlichen Geschmack wahrnahm. »Sie ist ungenießbar.«
»Sie ist perfekt«, sagte Kirow. Er ging zur Fensterbank und fuhr mit einem Finger liebevoll über die dunkelgrünen, glänzenden Blätter.
»Kirow, Sie brauchen eine Freundin. Oder eine Frau. Sie verbringen zu viel Zeit mit diesen Kumquats. Und jetzt gehen Sie bitte runter, und fahren Sie schon mal den Wagen vor.«
»Wohin geht es?«
»Wir haben ein Rendezvous mit dreißig Tonnen russischem Stahl. Nagorski hat sich anerboten, uns die Anlage zu zeigen, wo der Panzer entwickelt wird. Er will unter allen Umständen beweisen, dass das Gelände sicher ist.«
»Ja, Inspektor.« Kirow griff sich die Schlüssel und eilte zur Tür hinaus.
»Haben Sie Ihre Waffe dabei?«, rief Pekkala hinterher.
Kirow stöhnte. Seine Schritte kamen zum Halt.
»Sie haben sie wieder vergessen, was?«
»Ich brauche sie diesmal doch nicht«, protestierte Kirow.
»Sie wissen nie, wann Sie sie brauchen. Deswegen gibt es Bestimmungen, Kirow!«
Kirow kam zurück und wühlte in den Schubladen seines Schreibtisches.
»Sie haben sie verlegt?«, fragte Pekkala.
»Sie ist hier irgendwo«, murmelte Kirow.
Pekkala schüttelte nur den Kopf.
»Ah!«, rief Kirow. »Hier ist sie ja!« Er hielt seine Tokarew-Automatik hoch, die Standardwaffe für Armeeoffiziere und Angehörige der Staatssicherheit.
»Und jetzt holen Sie den Wagen«, sagte Pekkala.
»Schon unterwegs!« Kirow rauschte an ihm vorbei und polterte die Treppe hinunter.
Bevor Pekkala das Büro verließ, zog er das neue Jackett aus, legte es in die Schachtel zurück und schlüpfte wieder in seinen Mantel. Beim Zuknöpfen trat er ans Fenster und sah über die Dächer Moskaus. Das Spätnachmittagslicht schimmerte silbrig fahl auf den Schieferdächern. Krähen und Tauben saßen auf den Kaminen. Sein Blick fiel auf die Pflanzen auf dem Fensterbrett. Er pflückte eine weitere Kumquat, warf sie sich im Ganzen in den Mund und zerbiss sie. Der bittere Saft explodierte auf seinem Gaumen. Er schluckte und schüttelte sich kurz, dann ging er hinunter auf die Straße.
Es nieselte.
Kirow stand neben dem Wagen. Es war ein Emka Baujahr 1935 mit flachem Dach, hohem Kühlergrill und großen, runden Scheinwerfern auf breiten, geschwungenen Kotflügeln, was dem Wagen etwas Hochmütiges verlieh.
Kirow hielt Pekkala die Beifahrertür auf. Der Motor lief, die Scheibenwischer zuckten ruckartig wie die Fühler eines Insekts.
Pekkala schloss die verbeulte gelbe Tür hinter sich, drehte sich um und wäre beinahe gegen die beiden Damen geprallt, die in diesem Augenblick auf dem Bürgersteig vorbeigingen.
Die Frauen waren in Schals und dicke Mäntel gehüllt, plauderten vergnügt und stießen dabei weiße Atemwölkchen aus.
»Entschuldigung«, sagte Pekkala und wippte auf den Fersen zurück, um nicht mit ihnen zusammenzustoßen.
Die Damen verminderten noch nicht einmal ihr Tempo, sahen ihn nur kurz an, bevor sie mit ihrer Unterhaltung fortfuhren.
Pekkala starrte ihnen hinterher, besonders der linken Frau. Er hatte sie nur kurz gesehen – blasse Augen, eine blonde Haarsträhne, die ihr über die Wange fiel –, aber urplötzlich war er kreidebleich.
»Pekkala«, kam es leise von Kirow.
Pekkala schien ihn gar nicht zu hören. Er eilte den Damen hinterher, und bevor sie um die nächste Ecke biegen konnten, berührte er die Frau mit den blassen Augen an der Schulter.
Erschreckt fuhr sie herum. »Was ist?«, fragte sie verängstigt. »Was wollen Sie?«
Pekkala riss die Hand zurück, als hätte er einen Stromschlag abbekommen. »Tut mir leid«, stammelte er. »Ich habe Sie für jemand anderes gehalten.«
Kirow trat hinzu.
Pekkala schluckte und brachte kaum ein Wort heraus. »Es tut mir wirklich leid«, sagte er schließlich.
»Für wen haben Sie mich denn gehalten?«, fragte sie.
»Entschuldigen Sie uns, meine Damen«, sagte Kirow leichthin. »Wir waren gerade in die andere Richtung unterwegs.«
»Na, dann hoffe ich, dass Sie finden, wonach Sie suchen«, sagte die Frau zu Pekkala.
Die beiden Frauen gingen weiter, während Kirow und Pekkala zum Wagen zurückkehrten.
»Das hätten Sie sich sparen können«, sagte Pekkala. »Ich kann mich schon selbst aus peinlichen Situationen befreien.«
»Aber nicht so gut, wie Sie hineingeraten«, erwiderte Kirow. »Wie oft laufen Sie fremden Frauen hinterher?«
»Ich
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