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Der Rote Wolf

Der Rote Wolf

Titel: Der Rote Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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Andersson, das Radio des alten Knackers von oben lief, aber ansonsten war alles still, totenstill.
    Du bist ein Feigling, dachte er. Hier ist nichts, du Angsthase.
    Einen Moment lang blieb er regungslos stehen und ging dann entschlossenen Schrittes zur Haustür.
    Ein richtiger Kämpfer hätte sich niemals derart lächerlich benommen. Er war bald ein Meister, Cruel Devil war nahe daran, Teslatron God zu werden, denn er wusste, worauf es ankam: Im Kampf durfte man niemals zögern.
    Er schob die Tür auf, die wie immer klagend quietschte. Wegen der ständigen Schneefälle ließ sie sich nur etwa dreißig Zentimeter weit öffnen, denn am Morgen hatte niemand die Treppe freigeschaufelt. Er zwängte sich rasch ins Freie, doch sein Rucksack blieb an der Türklinke hängen, und als der unerwartete Ruck ihn festhielt, stiegen ihm Tränen der Wut in die Augen. Er zerrte und zog, bis eine Naht aufriss. Egal.
    Endlich freigekommen, rutschte er die vereisten Stufen hinab und fuchtelte dabei wild mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten. Schließlich gelangte er an den Fuß der Treppe, blinzelte durch den fallenden Schnee über den Zaun und erstarrte.
    Der ganze Himmel wurde von einem blauen Licht erhellt, das über den schwarzen Hintergrund wirbelte, kam und ging, kam und ging.
    Jetzt sind sie da, dachte er, und es schnürte ihm die Kehle zu. Jetzt passiert es wirklich.
    Er ging weiter und blieb neben einem kaputten Rasenmäher stehen, der unter der Schneedecke kaum noch auszumachen war, hörte sein Herz immer schneller pochen, bumm-bumm, bumm-bumm, und schloss die Augen. Er wollte es nicht sehen, traute sich nicht, weiterzugehen und hinzuschauen.
    Also blieb er stehen, spitzte die Ohren, spürte, wie das Haargel in der Kälte starr wurde. Eisige Flocken landeten auf seiner Nase. Alle Geräusche waren in die Watte des Schneegestöbers gepackt, das Donnern vom Stahlwerk drang kaum noch zu ihm durch.
    Dann aber hörte er Stimmen, Leute, die miteinander sprachen, einen Automotor, vielleicht auch zwei. Er riss die Augen auf und spähte über den Zaun zum Fußballplatz hinüber.
    Polizisten, dachte er. Die sind keine Gefahr.
    Als er sich endlich etwas beruhigt hatte, schlich er zur Straße und beugte sich vorsichtig vor. Zwei Streifenwagen und ein Krankenwagen, Menschen mit selbstsicheren Rücken und breiten Schultern, mit Gürteln und Uniformen.
    Waffen, dachte der Junge. Pistolen. Zapp, zapp zu Asche.
    Die Beamten redeten, gingen umher und zeigten hier- und dorthin, ein Typ hatte eine Rolle Plastikband, das er abwickelte, eine Frau schloss die Hecktüren des Krankenwagens und setzte sich auf den Beifahrersitz.
    Dann wartete er auf das Geheul der Sirenen, aber es kam nicht, denn es hatte keinen Sinn, sich auf dem Weg ins Krankenhaus zu beeilen.
    Er ist ja schon tot, dachte der Junge. Ich konnte nichts für ihn tun.
    Das Geräusch eines anfahrenden Busses kam näher, und er sah die Linie 1 hinter dem Zaun vorüberhuschen. Verdammter Mist, dachte er. Jetzt hatte er den Bus verpasst, und das ausgerechnet bei dem Mathelehrer, der immer so sauer wurde, wenn man zu spät kam.
    Er sollte sich beeilen. Er sollte laufen.
    Aber er blieb stehen. Seine Beine verweigerten ihm den Gehorsam denn er brachte es einfach nicht über sich, auf die Straße hinauszutreten. Es konnten Autos kommen, goldfarbene Autos.
    Er sank auf die Knie, seine Hände zitterten, und er begann zu weinen, Feigling, Feigling, dachte er, konnte aber nicht aufhören.
    »Mama«, flüsterte er, »ich wollte das nicht sehen.«
    Chefredakteur Anders Schyman breitete das Diagramm mit den neuesten Auflagenzahlen auf dem Konferenztisch aus. Seine Hände waren eifrig, ein wenig feucht. Er wusste, was die Säulen ihm zeigen würden, aber die Schlussfolgerungen und Analysen berührten ihn so sehr, dass sein Gesicht rot anlief.
    Es funktionierte wirklich. Der Trend hielt an.
    Er atmete tief durch, legte die Handflächen auf den Tisch, beugte sich vor und ließ die Informationen auf sich wirken.
    Die neue Ausrichtung der Nachrichtenarbeit zeigte sowohl bei der Höhe der Auflage als auch bei den Einnahmen Wirkung. Hier hatte er es schwarz auf weiß. Die Redaktion funktionierte, die Verbitterung über das letzte Sparpaket hatte sich gelegt. Die Umstrukturierung war abgeschlossen, und die Leute waren motiviert und zogen trotz der Einsparungen an einem Strang.
    Er ging um den glänzenden Walnussholztisch herum, seine Finger strichen über die Tischplatte. Es war ein schönes

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