Der Rubin der Oger
Hunderte seines Volkes um die große Echse versammelt hatten. Verborgen im nahen Unterholz warteten sie nur auf das Zeichen zum Angriff – sein Zeichen.
Er wollte gerade das Signal geben, als er für einen Moment in einen dunklen Schatten gehüllt wurde.
Die schwarzen Dämonen, hatte Nokrat gesagt. Es war nicht nur einer. Dieser eine da drüben saß nur als Köder hier. Sie waren in eine Falle getappt. Nein, er hatte sein Volk in die Falle geführt. Ein kurzer Blick zum Himmel bestätigte seine Befürchtung. Ein zweiter Drache kreiste genau über ihnen und wartete anscheinend nur darauf, dass sich noch mehr Elfen einfanden.
Sabriel konnte nicht mehr warten. Sie mussten angreifen, bevor die andere schwarze Bestie sich in die Lüfte erhob und begann, ihnen den Garaus zumachen. Sabriel benutzte die Muschel in seiner Hand ein zweites Mal.
Sekunden später verdunkelte ein Pfeilhagel den Himmel. Hunderte von schwarz befiederten Geschossen ergossen sich über die Lichtung. Ein markerschütterndes Brüllen erfüllte die Luft. Der Drache über ihnen warnte seinen Artgenossen und rief seinesgleichen in die Schlacht. Die Bestie auf der Lichtung blähte ihren Brustkorb auf und umgab sich mit einem ätzenden Säureregen. Die meisten Pfeile lösten sich innerhalb der Odembarriere auf oder wurden soweit unbrauchbar, dass sie die Haut des Drachen nicht verletzten konnten. Schon stürmten die ersten Elfen mit Langspeeren bewaffnet auf die Lichtung. Der Drache fuhr herum. Mit seinem peitschenden Schwanz wehrte er ein Dutzend Elfen ab und schleuderte ihre Körper zwischen die Bäume. Zwei Prankenhiebe befreiten ihn von weiteren Feinden, und ein Schritt nach vorn begrub einen Elfen unter sich. Immer mehr Elfen stürmten auf die Lichtung. Die ersten kamen nah genug, um ihre Speere in die Brust des Drachen zu treiben. Geschickt setzten sie die Spitzen so an, dass diese zwischen die Schuppen fuhren und ihre giftige Ladung im Körper hinterließen.
Ein grüner Säurestrahl vom Himmel riss eine breite Bresche in die angreifenden Elfen. Wer direkt getroffen wurde, starb noch im Lauf. Die Körper zersetzten sich und sackten in sich zusammen. Andere Elfen wiederum, die nur flüchtig im Säureregen standen, verloren ihr Augenlicht und taumelten ziellos umher oder erlitten so starke Verätzungen, dass sie der Wahnsinn packte. Dennoch verebbte der Sturm der Elfen nicht. Sie schienen aus einem ewigen Quell zu sprudeln.
Der Drache auf der Lichtung unternahm einen letzten Versuch, sich zu befreien. Das schnell wirkende Gift tat seine Wirkung, ihm blieb keine Zeit. Mit einem Odemstoß tötete er die herannahenden Elfen im Halbkreis vor sich und wagte den Sprung in den rettenden Himmel. Mit weit ausgebreiteten Flügeln stieß er sich vom Boden ab. Der Stamm einer gewaltigen Eiche ächzte und neigte seine Krone zur Seite. Als die letzte Pranke des Drachen den Boden verließ, kippte der riesige Baum in seine Richtung und begrub ihn unter sich. Die Echse fauchte verzweifelt, fand aber nicht mehr die Kraft für einen zweiten Fluchtversuch. Ein schwerer Ast hatte einen Flügel durchbohrt und nagelte den Drachen am Boden fest. Ein weiterer war durch die harten Schuppen gestoßen und steckte in seinem Rücken. Die ganze Last der schweren Eiche lag auf dem Tier und presste ihm die Kraft aus dem Körper. Der Drache in der Luft erkannte das Ende seines Artgenossen und schraubte sich in höhere Gefilde.
Sabriel sah die Krieger seines Volkes über die schwarze Echse herfallen wie ein Ameisenstaat über einen riesigen Leckerbissen. Jetzt verließ auch er sein Versteck und näherte sich dem Schauplatz des Schreckens. Wenige Schritte vor dem Drachenkopf blieb er stehen und sah seinem Feind in die hasserfüllten Augen.
Er zog einen Speer aus der Brust der Bestie und setzte die Spitze in einer der Nüstern an. Dann schloss Sabriel die Augen und trieb den Speer tief in den Schädel des Drachen.
Der Stein im Inneren sucht Schutz im Turm aus Stein.
»Turmstein bietet keinen Schutz«, flüsterte er dem sterbenden Drachen ins Ohr.
32
Fairer Zweikampf
Wieder einmal regnete es unaufhörlich. Kurz vor Einbruch der Dämmerung war nicht eine Wolke zu sehen gewesen, und auch jetzt, fast zwei Stunden später, strahlten noch die Sterne am Himmel; dennoch regnete es. Seit vielen Wochen setzte der plötzlich einsetzende Regen den Gemütern der Bevölkerung zu. Die Bauern führten die ungenießbare und teilweise giftige Ernte auf das übermäßig feuchte Wetter zurück.
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