Der Rubin der Oger
ganzen Armee ihr Land durchquert.«
Rator winkte ab.
»Menschen schwach. Nur wenig Krieger. Viele Bauern, viele Kinder. Sie nicht können aufhalten Oger.«
Rator hatte nicht bemerkt, dass Wulbart hinter ihm stand und die Unterhaltung aufmerksam mit angehört hatte. Der grobschlächtige Soldat nahm einen Schluck aus seinem Holzbecher und kippte den Rest über die Schulter des Ogers hinweg ins Feuer. Mit einer Stichflamme verbrannte der Alkohol und färbte die Flammen für einen kurzen Moment blau. Die umsitzenden Zwerge und Oger schützten sich, indem sie ihre Hände vors Gesicht hielten. Nach einem kurzen Augenblick der Verwirrung packte Rator den Soldaten am Bein und wollte ihn von den Füßen ziehen, doch die Klinge eines Katars zielte direkt auf seine Brust. In Wulbarts Augen war keine Gemütsregung zu erkennen. Der Barbar wirkte wie versteinert.
»Oger sind berechenbar«, sagte er ruhig. »Die Stärke von Menschen aber hängt nicht allein von ihrer Körperkraft ab. Sie sind zu Dingen fähig, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. Es gibt Zauberer, Meuchler und andere, die ihr nicht einzuschätzen wisst, also maßt euch nicht an, uns zu kennen.«
Rator griff blitzschnell nach der Klinge und umschloss sie mit einer Faust. Wulbart versuchte, die kurze Stichwaffe durch Drehen und Ziehen wieder freizubekommen, aber sie steckte fest wie in einem Baumstamm.
»Du nicht Zauberer«, knurrte Rator und zog jetzt seinerseits an der Waffe. Er zerrte den Barbaren immer weiter an das Feuer heran, so weit, bis beide Hände, die den Dolch umklammerten, über den Flammen hingen. Augenblicke später roch es nach verbrannten Haaren, und Wulbart standen Schweißperlen auf der Stirn. Mit schmerzverzerrtem Gesicht löste der Barbar den Griff um die Waffe und rieb sich den Unterarm.
»Du nicht wissen, wer Feind. Ihr nur gehen wegen Hass. Rator gesehen, ihr nur kämpfen wegen Rache oder Angst. Sie alle tot. Ihr sterben wie jeder aus Volk von Hüttenbauer. Augen weit auf und weiß vor Furcht.«
Mittlerweile ruhten sämtliche Blicke auf den ungleichen Kontrahenten. Auf dem Heuboden hatte sich Kapitän Morrodaks komplette Mannschaft versammelt. Neugierig schoben die Männer ihre Köpfe über das brüchige Holzgeländer und verfolgten den Streit zwischen Rator und Wulbart.
»Ihr fürchtet euch genauso«, sagte eine sanfte Stimme vom Heuboden.
Wütend schaute Rator die Reihe von Menschen entlang, die sich über ihm versammelt hatten. Keiner von ihnen stellte sich dem Zorn des Ogers.
»Wer gesagt?«, brüllte er ihnen entgegen.
Tastmar sprang auf und griff nach seiner Keule. Mit einem kräftigen Hieb schlug er auf die ohnehin schon ramponierte Leiter ein. Sie zersplitterte wie morscher Reisig und verteilte ihre einzelnen Sprossen in der Scheune. Anklagend zeigte Tastmar auf einen unscheinbar wirkenden Mann, der seine Beine vom Zwischenboden baumeln ließ und genüsslich ein Stück von einem Laib Brot abbiss. Er war der Einzige, der vom Wutausbruch Tastmars nicht sonderlich beeindruckt zu sein schien.
Rator kam das Gesicht bekannt vor, doch er konnte es nicht einordnen. Der Mann hatte sich ihnen in Osberg angeschlossen und seitdem kaum ein Wort mit jemanden gewechselt. Er reiste zwar mit ihnen, doch schien er kaum Interesse an ihrem Ziel zu haben.
»Wie dein Name?«, brüllte Rator ihn an.
»Haran«, antwortete der Mann und legte den Laib Brot beiseite. »Man nennt mich Haran.«
»Oger nicht Angst, Angst vor niemanden«, mischte sich Tastmar ein.
»Jeder hat Angst«, sagte Haran. »Im Augenblick des Todes bleibt dir nichts anderes mehr übrig, als Angst zu haben. Man betritt eine Welt, von der man nicht weiß, was sie bereithält. Das einzige Gefühl, dass einem in diesem Moment bleibt, ist Angst, und die spiegelt sich in den Gesichtern der Toten wider. Egal, ob Mensch, Zwerg, Elf oder Oger.«
Tastmar schlug vor Wut gegen einen Stützbalken. Das Gebälk der alten Scheune knarrte bedenklich, und feiner Regen aus Schmutz und Heuresten regnete von der Zwischendecke herab.
»Bruder Rolgist gestorben in Mine von Drachenhorst. Nicht Angst auf Gesicht. Er stolz. Er wissen, er gehen zu Tabal und sitzen als Held an Tafel mit Essen.«
»Euer Glaube ist genauso einfach gestrickt wie euer Gemüt. Wer denkt, mit der Gewissheit sterben zu können, was ihn erwartet, ist nicht nur verblendet, sondern auch dumm.«
Tastmar schlug erneut zu. Die Bretter, auf denen der Mann eben noch gesessen hatte, wurden von der Wucht des Schlages
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