Der Rubin der Oger
Kriegshammer. Direkt vor ihm lag ein Troll, dessen Körper stark verkrümmt war und dessen Augen weit nach hinten verdreht waren. Er war tot. Glimdibur war nicht gerade ein Fachmann für Trolle, aber an Altersschwäche schien dieser hier nicht gestorben zu sein. Auch alle Anzeichen für einen tödlichen Sturz fehlten. Das Einzige, was ihm auffiel, war der weiße Schaum, der ihm vor dem Maul stand. In der Klaue hielt der Troll eine Steinkartoffel, die nicht sonderlich schmackhaft, aber auch nicht giftig war. Er wusste, ein Troll würde nur in höchster Not auf fleischlose Nahrung zurückgreifen, aber der Zwerg verspürte nur geringe Lust ihn näher zu untersuchen.
Er war erleichtert, dass er den Troll tot vorgefunden hatte, denn einen Kampf mit so einem Ungetüm hätte er nicht unbeschadet überstanden, wenn überhaupt. Trolle waren erstklassige Kletterer und überragende Kämpfer. Beides zusammen machte sie zu erbitterten Feinden der Zwerge.
Glimdibur sammelte seine Ausrüstung zusammen und machte sich an den restlichen Aufstieg. Er war aufgeregt, nur noch tausend Fuß trennten ihn von seinem neuen Leben. All die Schmerzen, die das Klettern mit sich brachte, verflogen bei dem Gedanken an seine Zukunft, genauso wie der Gestank des Trollkots. Je näher er seinem Ziel kam, desto häufiger überprüfte er das kleine Lederpaket an seiner Seite. Er drückte es, rückte es zurecht und verschnürte es erneut. Nur noch ein Steinwurf trennte ihn von dem Pfad zum Eingang der Zwergenesse, dann hatte er es geschafft. Die Sonne zeichnete sich nur noch als glühend roter Streifen am Bergrücken ab. Noch bevor er das mächtige Doppelportal erreicht hatte, sandte sie ihre letzten Strahlen hinab in die zerklüftete Felsenlandschaft.
»Halt, wer da?«, rief ihm eine außerordentlich energische Zwergenstimme zu.
»Ich bin es, Glimdibur«, antwortete er dem Schatten.
Aus den Wächternischen am Portal traten zwei Zwerge und öffneten die Klappen ihrer Grubenlaternen. Glimdibur musste die Augen zusammenkneifen, um gegen das blendende Licht noch etwas erkennen zu können.
»Golbat, bist du das?«, fragte er unsicher.
»Ja, ich bin es, und Tungbasch. Du kommst spät, Glimdibur«, antwortete die Stimme.
»Ja, ich weiß, aber ich muss rasch zum König. Es ist dringend.«
Die beiden Wachen fragten nicht näher nach, sie kannten Glimdiburs Ruf, demzufolge er ebenso geheimniskrämerisch wie integer war. Gemeinsam zogen sie die schweren Flügel des Doppelportales auf, und Glimdibur schlüpfte hindurch. Er hastete durch die Gänge der Zwergenstadt. Aufwendige Steinmetzarbeiten zierten die Wände, und auf dem Boden fanden sich reichhaltige Mosaike mit Ornamenten. Viele der Tunnel waren einfach nur Blindgänge, die unbefugte Eindringlinge verwirren und ihr Vorrücken zur eigentlichen Zwergenstadt verhindern sollten.
Doch Glimdibur hatte heute keinen Blick für die Schönheiten der Zwergenwelt übrig, sein ganzer Sinn war auf die Aussprache mit dem König und die Bestätigung der Rechtmäßigkeit seines Besitzes gerichtet. Viele Tunnel und Hallen durchquerte er, viele Treppen stieg er hinab, aber außer den gewohnten Wachposten kreuzte niemand seinen Weg. Nach einiger Zeit betrat er ein kleines Gewölbe, das über keinen weiteren Ausgang zu verfügen schien. Der Raum war ebenso verziert wie jeder Teil des Zwergenreiches. Glimdibur nahm seine Laterne und stellte sie auf eine Mosaiksonne am Boden. Den Spiegel seiner Lampe richtete er so aus, dass er das in Stein gehauene Gesicht eines würdevoll aussehenden Zwerges beleuchtete. Dann wartete er ab. Seine Unruhe ließ ihn in dem Raum auf und ab gehen, während er mit seinen Lippen unhörbare Worte formte, um sich seine Ansprache zurechtzulegen.
Ein schwerfälliges Getriebe wurde in Gang gesetzt. Eine Mechanik, die ein leichtes Vibrieren im Boden hinterließ, wie sie nur ein Zwerg spüren konnte. Glimdibur drehte sich zur Wand und starrte auf das hell erleuchtete Gesicht. Die Mechanik rastete ein, und ein dumpfes Grollen erklang. Stück für Stück verschwand ein Teilstück der Mauer im Boden. Die Geheimtür, die nur einen Schritt breit und eineinhalb Schritt hoch war, versank fast lautlos im Massiv. An ihren Seiten blieb nicht genug Platz, um ein Pergament dazwischen zu schieben. Glimdibur wusste, dass nur eine Phiole Öl imstande wäre, die feinen Zwischenräume in den Gesteinsplatten zu zeigen. Hinter der Öffnung befand sich ein eiserner Käfig, dessen Schmiedekunst den Steinmetzarbeiten der
Weitere Kostenlose Bücher