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Der Rubin im Rauch

Der Rubin im Rauch

Titel: Der Rubin im Rauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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verstecken... Sie war sich im klaren darüber, daß sie in
amtliche Vormundschaft käme, wenn sie gefunden werden sollte.
Dafür würde Mr. Temple sorgen. Sie hatte wenig Vorstellung davon,
was das alles bedeuten würde, aber ganz sicher würde man sie wieder
zu Mrs. Rees stecken oder sonst einer unausstehlichen Person und
würde ihr das Recht absprechen, über ihr eigenes Geld zu verfügen.
Vielleicht würden sie einen Detektiv in die Nähe der Bank, bei der ihr
Konto war, postieren, so daß man sie verhaften würde, wenn sie
hinginge, um ihr Geld abzuheben... vielleicht war es besser, wenn sie
nicht ginge. Aber wie lange konnte sie hier bleiben, wenn dem so
war? Solange sie wollte, wenn sie arbeitete.
Sie spülte ab und setzte sich dann hin, um eine Reihe von Anzeigen
für alle großen Zeitungen zu entwerfen. Das hob ihre Stimmung
wieder, und dann kam ein Kunde, der einen Termin für eine
Porträtsitzung für sich und seine Verlobte ausmachen wollte, und
Sally nahm ein Blatt aus Tremblers Buch und verkaufte ihm ein
Stereoskop. Bald würden sie eine auserlesene Auswahl an
stereographischen Bildern haben, die beste in ganz London, teilte sie
ihm mit. Er verließ beeindruckt den Laden. Aber allmählich spürte sie,
wie ihre Gedanken wieder um den Alptraum kreisten: um die
Stimmen, die Hindustani sprachen, den Mord, den wilden, funkelnden
Blick ihres Vaters, die Stimme von Major Marchbanks...
Ein Frösteln befiel sie schließlich, das auch die Wärme des
Küchenfeuers nicht mildern konnte. Vor sechzehn Jahren war in
diesen wenigen Minuten etwas geschehen, das nach all dieser Zeit zu
Verfolgung, Gefahr und Tod geführt hatte. Vielleicht nicht nur zu
einem Tod. Sie schauderte und setzte sich hin, um auf die Rückkehr
der anderen zu warten.
In der Zwischenzeit waren Mrs. Holland einige Nachrichten
hinterbracht worden.
    Einer der Agenten, die manchmal in ihren Diensten standen, ein
Bösewicht namens Jonathan Berry, suchte sie etwa zur selben Zeit
auf, in der Vikar Bedwell seinen Besuch in der Burton Street
abstattete.
    Mr. Berry war ein großer Mann, fast zwei Meter groß und mächtig
wie ein Schrank; er stieß im engen Flur der Pension Holland fast an
die Decke und jagte Adelaide einen Schrecken ein. Er hob sie mit
einer Hand hoch und hielt sie nahe an sein schmutziges Ohr.
„M -- M -- Mrs. Holland is bei dem Herrn, Sir", flüsterte sie und fing
an zu schluchzen.
    „Hol sie", knurrte Mr. Berry. „'s gibt hier keine Herrn, du kleiner
Lügenbeutel."
Er ließ sie fallen. Sie huschte weg wie eine Maus, und er lachte --
ein düsteres, kollerndes Geräusch machte er dabei, wie ein
unterirdischer Steinschlag.
Mrs. Holland war nicht erfreut, weggeholt zu werden. Bedwell
sprach in seiner Verwirrung von einer Person mit dem Namen Ah
Ling, deren Name er nie ohne ein Zittern in der Stimme nannte; von
Tauwerk war die Rede und einem Messer und Lichtern unter dem
Wasser und ähnlichem. Sie fluchte und wies Adelaide an, dazubleiben
und aufmerksam zuzuhören. Adelaide wartete, bis die alte Frau
gegangen war, und legte sich dann neben die schwitzende, vor sich
hin murmelnde Gestalt des Seemanns, weinte bittere Tränen und
umklammerte seine schlaffe Hand.
„Aha, Mr. Berry", sagte Mrs. Holland zu dem Besucher, nachdem
sie ihre Zähne eingepaßt hatte. „Sind Sie schon lange draußen?"
Sie spielte auf das Dartmoor Gefängnis an.
„Bin seit August draußen, Ma'am." Mr. Berry zeigte seine besten
Manieren, er hatte sogar seine schmierige Kappe abgenommen und
drehte sie nervös in den Händen, während er in dem kleinen Sessel
saß, den Mrs. Holland ihm im Salon angeboten hatte. „Hab gehört,
daß Sie wissen wolln, wer Henry Hopkins um die Ecke gebracht hat",
fuhr er fort.
„Möglicherweise, Mr. Berry."
„Also, ich hab gehört, wie Solomon Lieber - "
„Der Pfandleiher in der Wormwood Street?"
„Genau der. Ich hab gehört, daß er gestern 'ne Diamantnadel als
Pfand genommen hat, genauso eine wie sie Hopkins immer getragen
hat."
Mrs. Holland stand sofort auf.
„Harn Se Zeit, Mr. Berry? Wie war's mit 'nem kleinen
Spaziergang?"
„Mit Vergnügen, Mrs. Holland."
„Adelaide!" rief die Dame vom Flur aus. „Ich gehe aus. Laß ja
niemand rein."
    „Eine Diamantnadel, die Dame?" sagte der alte Pfandleiher. „Hier
hab ich eine ausgesucht hübsche, 'n Geschenk für Ihren Freund?"
fragte er und schielte zu Mr. Berry hinüber.
    Mr. Berrys Antwort bestand darin, daß er den Baumwollschal
packte, den der

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