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Der Rubin im Rauch

Der Rubin im Rauch

Titel: Der Rubin im Rauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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sich?
Verflucht noch mal!
    Er zielte mit dem Billardstock auf einen weißen Ball, stieß daneben,
zerriß das Tuch und zerbrach den Billardstock wütend über dem Knie,
worauf er sich in einen Sessel warf. Das Mädchen? Lockharts Tochter
-- ob sie wohl irgendwas damit zu tun hatte? Man konnte es nicht
sagen.
    Der Botenjunge? Der Pförtner? Nein, das war absurd. Der einzige
Mann in der Firma, der Bescheid gewußt hatte, war Higgs, und Higgs
-- Higgs war tot. Während sich die Lockhart-Tochter mit ihm
unterhalten hatte, war er gestorben. Vor Schreck gestorben, wie der
Abteilungsleiter gesagt hatte, der es wiederum vom Arzt
mitbekommen hatte. Sie mußte etwas gesagt haben, was Higgs
verblüfft hatte -- eine Mitteilung ihres Vaters; und Higgs hatte es
vorgezogen zu sterben, anstatt sich rauszureden.
    Mr. Selby schnaubte verächtlich. Aber es war eine interessante
Spekulation, und vielleicht war Mrs. Holland nicht einmal sein
Hauptfeind.
    Vielleicht täte er besser daran, sie für sich zu gewinnen, anstatt sie
zu bekämpfen. Obwohl sie abstoßend war, so hatte sie doch irgendwie
Stil, und Mr. Selby erkannte eine hartgesottene Person, wenn er eine
vor sich hatte.
    Jawohl! Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr gefiel ihm der
Gedanke. Er rieb sich die Hände und biß das Ende einer kubanischen
Zigarre ab, dann zog er eine Kappe mit einer Troddel an, damit sein
Haar nicht den Tabakgeruch annahm, zündete die Zigarre an und
machte es sich bequem, um einen Brief an Mrs. Holland aufzusetzen.
    Eine Person gab es, deren Wochenende nach Plan verlief -- nach den
Plänen der Peninsular and Oriental Steam Navigation Company,
nichts weniger. Es handelte sich um einen gewissen Passagier an Bord
der ,Drummond Castle' aus Hankow. Es war stürmisch gewesen in der
Biskaya, aber der Passagier hatte nicht darunter gelitten. Er schien
abgehärtet zu sein, was die meisten Unannehmlichkeiten betraf, und
als das Schiff mit einer stetigen Geschwindigkeit von zehn Knoten
den Ärmelkanal hinaufdampfte, fand man ihn auf dem Schiffsdeck an
der Stelle, an der er seit Singapur immer gesessen hatte, die Werke
von Thomas de Quincy lesend.
    Der kalte Wind und der Nieselregen machten ihm überhaupt nichts
aus. Als die Luft kälter und der Himmel grauer wurde, schien sich die
Stimmung des Passagiers sogar noch zu heben. Er aß und trank um so
herzhafter, je mehr das Schiff vom Seegang im Ärmelkanal gebeutelt
wurde, und paffte dauernd an schwarzen Stumpen, die beißend
rochen. Am Sonntagabend fuhr das Schiff um North Foreland und
setzte zum Endspurt der Reise in der Themsemündung an. Es fuhr
langsam in diesen vielbefahrenen Gewässern, und als der Tag sich
neigte, trat der Passagier an die Reling und starrte aufmerksam auf die
Lichter an der Küste von Kent zur Linken, die matt und ruhig
leuchteten, auf die gespenstische Gischt, die am Bug des Schiffes
hochspritzte, und auf die unzähligen blitzenden Lichter von Bojen und
Leuchttürmen, die unschuldige Reisende wie ihn durch die Untiefen
und Gefahren des Meeres geleiteten. Und als ihm dieser Gedanke
kam, lachte der Passagier plötzlich.
LICHTER UNTER DEM WASSER
    In dem Büro in Cheapside waren die Maler. Eimer mit Kalkmilch
und Leimfarbe standen im Gang, und Bürsten und Leitern versperrten
die Flure. Es war gerade kurz vor Dienstschluß am Montagabend, als
der Pförtner nach Jim läutete.
„Was wolln Se denn?" wollte Jim wissen und bemerkte einen
Botenjungen, der neben dem Kamin in der Pförtnerloge stand.
Jim beäugte ihn herablassend; dem Käppi zollte er besondere
Aufmerksamkeit.
    „Brief für Mr. Selby", sagte der Pförtner. „Nimm ihn mit rauf und
sei freundlich."
„Wieso wartet er denn noch?" fragte Jim und zeigte auf den
Botenjungen. „Wartet wohl auf seinen Herrn mit 'm Leierkasten,
was?"
„Geht dich nix an", sagte der Botenjunge.
„Ganz richtig", sagte der Pförtner. „Is 'n kluger Bursche. Hat 'n
weiten Weg."
    „Warum geht er dann nich?"
„Weil er auf 'ne Antwort wartet, deshalb."
Der Junge grinste, und Jim verschwand mit finsterem Gesicht.
„Er will 'ne Antwort, Mr. Selby", sagte er im Chefzimmer. „Er
wartet unten."
    „So, so", sagte Mr. Selby und riß den Umschlag auf. Seine Backen
waren heute hochrot und seine Augen blutunterlaufen, was Jim mit
Interesse bemerkte. Er fragte sich im Stillen, ob Mr. Selby wohl an
einem Schlaganfall sterben würde. Während er ihn beobachtete,
änderte sich das Phänomen, und Mr. Selbys

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