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Der Rubin im Rauch

Der Rubin im Rauch

Titel: Der Rubin im Rauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Gesichtsausdruck
wechselte schlagartig: Die hochrote Gesichtsfarbe verschwand ganz
plötzlich und hinterließ eine grauweiße Fläche zwischen einem
rötlichen Backenbart. Dessen Eigentümer setzte sich plötzlich hin.
    „Wer ist unten?" fragte er mit heiserer Stimme. „Der Mann selbst?"
„Ein Botenjunge, Mr. Selby."
„Oh. Geh mal ganz schnell ans Fenster und schau raus."
Jim tat, wie ihm geheißen. Die Straße war dunkel, und die Lichter
in den Bürofenstern und die Frontlichter von Droschken und
Pferdebahnen leuchteten in der Dämmerung.
    „Kannst du 'n Kerl mit -- hellem Haar -- glattrasiert -- braungebrannt
-- dicklich -- entdecken?"
„Da sind Hunderte von Leuten, Mr. Selby. Was könnte er denn
anhaben?"
„Ich weiß auch nicht, was er anhat, verflucht noch mal, Junge! Steht
da irgend jemand und wartet?"
„Keiner, der so aussieht."
„Hmm. Ich schreib lieber mal 'ne Antwort."
Hastig kritzelte er etwas hin und steckte es in einen Umschlag.
„Gib ihm das", sagte er.
„Schreiben Sie keine Adresse drauf, Mr. Selby?"
„Wozu denn? Der Junge weiß, wo er's hinbringen muß."
„Falls er auf der Straße nicht tot umfällt. Der Kerl sieht ganz
schwindsüchtig aus. War gar nicht überrascht, wenn er abkratzen
würd, bevor die Woche um is - "
„Ach, hau ab!"
Da Jim so gehindert wurde, den Namen des Mannes, der Mr. Selby
solche Angst einjagte, herauszufinden, versuchte er bei dem
Botenjungen eine andere Taktik.
„Da", sagte er gewinnend. „Kannste das brauchen? Kannste gern
haben, wenn de willst."
Er streckte ihm ein zerlesenes Exemplar von
„Besatzungsmannschaft oder Buschfeuer Ned" entgegen. Der
Botenjunge warf einen verächtlichen Blick darauf, nahm es wortlos
und steckte es in seine Jacke.
„Wo is die Antwort, auf die ich gewartet hab?" fragte er.
„Ach ja, dumm von mir", sagte Jim. „Da ist sie. Allerdings hat Mr.
Selby vergessen, den Namen des Herrn auf den Umschlag zu
schreiben. Ich tu's für dich, du brauchst mir bloß zu sagen, wie er
heißt", erbot er sich und tauchte eine Feder in das Tintenfaß des
Pförtners.
„Zisch ab", sagte der Botenjunge. „Gib's her. Ich weiß, wo ich's
hinbringen muß."
„Klar weißte das", sagte Jim und reichte ihm den Brief. „Hab bloß
gedacht, daß es dann mehr nach Geschäftskorrespondenz aussieht."
„Quatsch", sagte der Botenjunge und ging vom Kamin weg.
Jim öffnete ihm die Tür, es schie n irgend etwas im Weg zu liegen,
und er bückte sich, um es wegzuräumen. Der Pförtner machte dem
Botenjungen wegen seiner schicken Uniform Komplimente.
„Ja, ich sag immer, Kleider ham irgendwie was mit Kunst zu tun",
sagte der Besucher. „Wenn de proper ange zogen bist, kommste auch
weiter."
„Ja, da haste ganz recht", sagte der Pförtner. „Hörste, Jim? Das is
mal 'n junger Bursche, der weiß, was er will."
„Ja, Mr. Buxton", sagte Jim respektvoll. „Ich werd's mir merken.
Ich zeig dir den Weg."
Jim öffnete die Tür und begleitete ihn auf die Straße, die Hand
freundlich auf die Schulter des anderen legend. Der Botenjunge
stapfte wortlos weg, aber ehe er noch fünf Meter weit gegangen war,
rief Jim: „He! Haste nich was vergessen?"
„Was?" sagte der Junge und drehte sich um.
    „Das!" rief Jim und schoß ein tintenverschmiertes Kügelchen von
seiner Gummischleuder. Es traf den Botenjungen direkt zwischen den
Augen; die Ladung spritzte ihm über die Nase, die Backen und die
Stirn und ließ ihn vor Wut aufheulen. Jim stand auf der Treppe und
schüttelte den Kopf.
    „Mann, Mann", sagte er. „Du solltest dich etwas gewählter
ausdrücken. Was würd bloß deine Mutter sagen? Hör lieber auf, sonst
werd ich noch rot."
    Der Botenjunge knirschte mit den Zähnen und ballte die Fäuste,
aber der Anblick von Jims blitzenden Augen und seiner angespannt
auf ihn wartenden Gestalt ließen ihn in Erwägung ziehen, daß Würde
eine bessere Form der Rache war; und er drehte sich um und ging
wortlos weg. Jim beobachtete mit großer Genugtuung, wie das
schicke, rotbraune Jackett mit der frisch aufgedruckten Tünche in
Form einer Hand in der Menge verschwand.
    „Das Warwick Hotel", sagte Jim zu Sally zwei Stunden später. „Er
hat's auf dem Hut gehabt, der dumme Esel. Und auf all seinen
Knöpfen. Ich wollt zu gern dabei sein, wenn er ins Hotel geht voller
Tinte und Tünche. Adelaide", fuhr er fort, „ich war in Wapping."
„Haste Mrs. Holland gesehn?" fragte das Kind.
     
„Bloß einmal. Der große Kerl da is bei ihr, der macht die

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