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Der Rubin im Rauch

Der Rubin im Rauch

Titel: Der Rubin im Rauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Sally geglaubt hatte. Eine
Stereokamera war genauso wie eine normale Kamera, außer daß sie
zwei Linsen hatte, die so weit voneinander entfernt angebracht waren
wie der Abstand zwischen einem Augenpaar; jede Linse nahm ein
anderes Bild auf. Wenn die beiden Bilder nebeneinander abgebildet
und durch ein Stereoskop betrachtet wurden -- einfach ein Gerät mit
zwei Linsen im rechten Winkel, um die Bilder als eines erscheinen zu
lassen -- dann sah der Betrachter ein dreidimensionales Bild. Es wirkte
fast wie Zauber.
    Frederick inszenierte zuerst ein paar komische Bilder, die jedes für
sich angeschaut wurden. Eines wurde „Eine schreckliche Entdeckung
in der Küche" genannt und zeigte Rosa als in Ohnmacht fallende
Ehefrau und Trembler als erschrockenen Ehemann. Es stellte ihre
Reaktion dar auf das, was Sally, das Küchenmädchen, ihnen zeigte --
ein Regal, aus dem ein Dutzend schwarze Käfer von der Größe einer
Gans herauskrabbelten. Adelaide hatte die Käfer aus braunem Papier
ausgeschnitten und sie mit Tusche schwarz angemalt. Trembler wollte
auch eine Photographie von Adelaide, deshalb kostümierten sie ihn,
setzten sie ihm aufs Knie und machten eine Aufnahme als Illustration
zu einem sentimentalen Lied.
„Ganz bezaubernd", meinte Frederick.
     
So verstrich das Wochenende.
    Anderswo in London war es nicht so friedlich.
Mr. Berry zum Beispiel erlebte harte Zeiten. Mrs. Holland ließ ihn
die Trümmer aus dem Gang wegräumen, das zerbrochene Geländer
reparieren, und als er es wagte, sich zu beklagen, ließ sie ihn hören,
was sie von ihm dachte.
„So ein großer starker Mann und läßt sich von so 'nem frechen
kleinen Laffen so umeinanderschlagen? Und der auch noch halb
benebelt vom Opium! Meine Güte, wie war's dann erst bei so was wie
'ner angriffslustigen Küchenschabe!"
„Oh, hörn Sie auf, Mrs. Holland", stöhnte der große Mann nervös
und nagelte eine Latte quer über eine zerborstene Tür. „'s muß 'n
Profi gewesen sein, 's is keine Schande, von so einem geschlagen zu
werden. Der hat schon mit den Besten gekämpft, wahrhaftig."
„Na, also jetzt hat er mit dem Schlechtesten gekämpft. Da hätt sich
ja sogar die kleine Adelaide mehr gewehrt. Oh, Mr. Berry, Sie ham
ganz schön was gut zu machen. Machen Se mal endlich die Tür da
fertig. Und da hinten gibt's noch 'n Haufen Kartoffeln zum Schälen."
Mr. Berry murrte vor sich hin, aber leise. Er hatte sich noch nicht
getraut, ihr zu sagen, was er in der Küche zugelassen hatte. Sie
glaubte noch, daß Adelaide einfach verschwunden war; aber das
plötzliche Auftauchen des Photographen aus Swaleness hatte sie
wieder an Sally erinnert. Sie hatte also auch ein Interesse an Bedwell.
Und dann war da noch Sallys List - Mrs. Holland hielt es zumindest
für eine List, daß sie die deutlichen Hinweise auf das Versteck des
Rubins mit einem Stück Papier ersetzt hatte, auf dem nur Unsinn
stand. Sally hatte jetzt den Rubin -- sie mußte ihn haben. Mrs. Holland
würde sie finden, kein Zweifel. Und wo sie war, war auch der
Photograph und Bedwell und ein Vermögen.
Ihre Unzufriedenheit wuchs und ebenso die Arbeiten, mit denen sie
Mr. Berry überhäufte. Sein Wochenende wurde immer ungemütlicher.
    Aber der Mann, der sich an diesem Wochenende wohl am
unbehaglichsten fühlte, war Samuel Selby. Er war fünfzig Pfund los
und hatte dafür Mrs. Hollands Versprechen, bald noch mehr Karten
auszuspielen, was ihn demütigte. Deshalb war er unwirsch gegen Frau
und Tochter, nörgelte an den Dienstboten herum, stieß die Katze mit
dem Fuß und zog sich am Samstagabend bald in den Billardraum im
Laburnum Lodge, seinem Haus in Dalston, zurück. Dort zog er eine
dunkelrote Samtjacke an, goß sich ein großes Glas Brandy ein und
schoß ein paar Bälle, während er überlegte, wie er seinem Erpresser
einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Aber soviel er auch
grübelte, er kam nicht darauf, wie sie zu ihrem Wissen gekommen
sein könnte.
    Und wieviel sie wußte, konnte er auch nicht erraten. Der Verlust der
Lavinia und der betrügerische Versicherungsanspruch waren schlimm
genug, aber die andere Sache, das Wichtigste, das, was Lockhart
beinahe entdeckt hatte -- das hatte sie nicht erwähnt.
Ob sie es nicht wußte?
    Fünfzig Pfund waren schließlich eine lumpige Summe, verglichen
mit den Summen, die da eine Rolle spielten... Oder hob sie es sich für
einen anderen Besuch auf? Oder behielt es ihr Informant aus
irgendwelchen Gründen für

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