Der Rubin im Rauch
Drehbrücke von Wapping Entrance, der Kanal, der zum
größeren der beiden Londoner Docks floß; Jim klammerte sich
aufgeregt an den Kutschbock. Keiner von beiden bemerkte die beiden
Männer an der Winde auf der rechten Seite.
„Wohin, Meister?" rief der Kutscher runter.
„Halten Sie hier", rief Frederick. „Das genügt -- den Rest gehen wir
zu Fuß."
Sie bezahlten den Kutscher. Die Droschke drehte um und fuhr den
Weg, den sie gekommen war, zurück. Frederick wünschte im Stillen,
mehr Geld bei sich zu haben, so daß er die Droschke hätte warten
lassen können, aber er hatte gerade genug Geld dabei, um diese Fahrt
zu bezahlen.
„Was sollen wir machen?" fragte Jim. „Ich kenne ihr Haus. Ich hab
'n bißchen spioniert."
„Ich weiß auch nicht recht", antwortete Frederick. „Lassen wir mal
die Dinge auf uns zukommen..."
Sie eilten die High Street von Wapping entlang, zwischen hohen
düsteren Lagerhallen und den hervorstehenden Kranbahnen und
Flaschenzügen hindurch, die über ihnen schaukelten wie Galgen für
eine Massenhinrichtung. Nach kurzer Zeit waren sie an der Ecke von
Hangmans Kai, und da hob Frederick die Hand, damit sie
stehenblieben.
„Warte."
Er schaute um die Ecke und zog Jim heftig am Ärmel.
„Schau!" flüsterte er. „Sie kommen grade an -- sie steigt aus der
Droschke, und Adelaide ist auch dabei..."
„Was machen wir jetzt?" flüsterte Jim.
„Los! Wir schnappen sie einfach und hauen ab!"
Frederick spurtete los, und Jim folgte direkt hinter ihm. Zum
Eingang der Pension Holland waren es nur etwa zwanzig Meter, und
Frederick rannte geräuschlos. Mrs. Holland suchte immer noch nach
ihren Schlüsseln, als er sie erreichte.
„Adelaide!" schrie er, und Mrs. Holland drehte sich blitzschnell um.
„Hau ab! Mit Jim!"
Jim stürzte sich auf Adelaide und packte ihre Hand. Er versuchte,
sie mit sich zu ziehen, aber sie stand wie gelähmt da.
„Los, los!" schrie er und zerrte noch heftiger an ihr, so daß sie
schließlich mit ihm wegrannte.
Sie rasten zur nächsten Straßenecke und verschwanden -- und dann
sah Frederick, warum sich Mrs. Holland nicht von der Stelle gerührt
hatte und warum sie ihn anlächelte, denn direkt hinter ihm stand der
große Mann Jonathan Berry mit einem kurzen Stock in der Hand.
Frederick sah sich um -- aber er saß in der Falle. Der Fluchtweg war
ihm abgeschnitten.
Die Straßenecke, um die Jim bog, hätte Adelaide nicht gewählt; von
dort aus ging es in eine Sackgasse. Aber in ihrer panischen Angst
konnte sie nicht klar denken und ließ sich einfach mitzerren.
Die Straße hieß Church Court. Sie hatte Kurven, so daß Jim nicht
sehen konnte, daß es eine Sackgasse war, und außerdem war es
praktisch völlig dunkel. Als er am Ende angelangt war, stolperte er
über einen Haufen Abfall, tastete mit der Hand das dunkle Mauerwerk
ab und fluchte.
„Wo sind wir?" fragte er. „Was ist auf der anderen Seite der
Mauer?"
„Eine Kirche", flüsterte sie. „Kommt sie? Kommt sie?"
„Der Meister hat sie aufgehalten. Los, wir müssen über die
verfluchte Mauer..."
Er versuchte, sich in der Dunkelheit zu orientieren. Die Mauer war
nicht hoch -- knapp zwei Meter hoch etwa -- aber sie war mit spitzen
Glasscherben bedeckt; das konnte er in dem schwachen Licht sehen,
das aus den Kirchenfenstern drang; seine Augen hatten sich jetzt an
das Zwielicht gewöhnt. Er hörte Gesang und fragte sich im Stillen, ob
eine Andacht wohl eine günstige Gelegenheit böte, sich zu verstecken.
Aber zuerst mußten sie über die Mauer klettern. In einer Ecke lag ein
Faß, er rollte es an die Mauer und stellte es aufrecht hin, und dann
mußte er Adelaide rütteln, die auf dem Boden kauerte und
Selbstgespräche führte.
„Los, du Dummerchen", sagte er. „Da mußte rauf. Wir müssen über
die Mauer..."
„Ich kann nicht", sagte sie.
„Ach, mach schon, Herrschaft noch mal. Rauf mit dir!" Er zog sie
hoch und half ihr, sich auf das Faß zu stellen. Sie zitterte wie
Espenlaub, und er fuhr ein bißchen freundlicher fort: „Wenn wir's da
drüber schaffen, können wir abhaun und in die Burton Street
zurückkehren. Zu Trembler. Aber du mußt es versuchen, ja?"
Er hielt sich oben an der Mauer fest und zog sich hoch. Das
Mauerwerk war dick, es war also genügend Platz da, sobald er
vorsichtig über die abgebrochenen Glasscherben gestiegen war; dann
drehte er sich um und beugte sich vor, um ihr zu helfen.
„Raff deinen Rock zusammen, damit er nich hängenbleibt", sagte
er,
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