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Der Rubin im Rauch

Der Rubin im Rauch

Titel: Der Rubin im Rauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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zum
Essen zu holen. Sally kochte; es sollte Reis mit Fisch und Eiern geben,
was zu den beiden einzigen Gerichten gehörte, die sie zuzubereiten
verstand.
Frederick war gerade aus der Werkstatt gekommen, und Sally war
beim Tischdecken, als die Küchentür aufflog und Jim hereinstürzte.
    „Mrs. Holland!" keuchte er völlig außer Atem. „Sie hat Adelaide
erwischt -- sie hat hinter 'ner Ecke gelauert -- sie hat sie gepackt und is
in 'ne Droschke gesprungen -- wir warn machtlos!"
„Wo is Trembler?" fragte Frederick, ließ Messer und Gabeln fallen
und langte nach seinem Mantel.
    „Der große Kerl hat ihn zusammengeschlagen", sagte Jim. „Es war
dunkel -- wir sin grad um die Ecke gekommen, da bei der Kneipe,
wo's so dunkel is -- wir ham nix gesehn! Sie is plötzlich da aus der
Gasse gekommen und hat sie gepackt, und Trembler hat das Bier
fallen lassen und ihren ändern Arm gepackt, und da hat der große Kerl
da ausgeholt und ihn flachgelegt -- da is er immer noch wahrscheinlich
-- und dann ham se Adelaide in 'ne Droschke gestoßen und sin
blitzschnell abgehaun - "
„Sally, du bleibst da", sagte Frederick. „Geh nicht weg, geh nicht an
die Tür und laß niemand rein."
    „Aber - " rief sie, doch zu spät, denn er war weg und Jim mit ihm.
„Aber was ist mit Trembler?" sagte sie in die leere Küche hinein.
Sie schaute auf das dampfende Reisgericht, das gerade fertig war,
    und fühlte, wie sich ihre Augen mit Tränen der Enttäuschung füllten.
Warum soll ich eigentlich dableiben? dachte sie ärgerlich, ist es nicht
schließlich meine Angelegenheit? Sie warf sich in den großen Sessel
und biß sich auf die Lippen. Was sie als nächstes getan hätte, wußte
sie nicht, aber der Türgriff wurde knarrend gedreht, und als sie
erstaunt aufblickte, sah sie Trembler, zitternd und mit bleichem
Gesicht; er blutete aus einer Wunde an der Backe. Sie sprang auf und
half ihm in den Lehnstuhl.
    „Was ist passiert?" fragte sie.
„Jim ist reingerannt und hat gesagt, daß Mrs. Holland - "
„Sie ham sie geschnappt, die Schufte", sagte er.
    Er verdiente seinen Namen jetzt: er zitterte heftiger, als sie je selbst
gezittert hatte.
„Sie ham se gepackt, das arme Wurm, und ham se in die verfluchte
Droschke geschmissen -- und ich hab nix machen können -- der riesige
Scheißkerl hat mich zusammengeschlagen, und ich bin gestürzt... ich
hab's versucht, bei Gott -- aber er war so groß..."
„Fred und Jim sind hinter ihnen her", sagte sie, wrang ein Tuch aus
und legte es ihm aufs Gesicht. „Sie kriegen sie schon, nur keine Sorge.
Fred läßt nicht zu, daß ihr irgendwas passiert. In einer Stunde wird sie
wieder sicher hier sein..."
„Guter Gott, Miss, hoffentlich ham Se recht. Es ist meine Schuld.
Ich hau sie nicht mitkommen lassen dürfen. Sie is 'n liebes kleines
Ding..."
„Schsch, machen Sie sich keine Vorwürfe. Natürlich war's nicht
Ihre Schuld. Niemand hat Schuld. Das Abendessen ist fertig, und
keiner ist da außer uns. Möchten Sie was essen?"
„Ich weiß nich. Bin gar nich hungrig."
Sally hatte auch keinen Hunger, aber sie drängte ihn, etwas zu
essen, und aß auch selbst ein wenig. Keiner redete, bis sie fertig
waren.
Dann schob er seinen Teller weg und sagte: „Sehr schmackhaft.
Sehr gut."
Sie hatten nur fünf Minuten lang gegessen.
    „Wie geht's der Backe?" fragte sie.
Er machte das eine Auge zu.
„Bin auch zu gar nix zu gebrauchen, verflucht noch mal", murmelte
er, während sie sein Gesicht mit einem feuchten, weichen
Tuch
vorsichtig betupfte. „Gar nix kann ich."
     
„Ach, Quatsch", sagte sie. „Wir wären hier völlig hilflos ohne Sie,
das wissen Sie doch. Also bloß kein Selbstmitleid."
    Sie ließ das Tuch sinken; plötzlich hatte sie eine Idee. Sie mußte
sich hinsetzen: sie hatte angefangen zu zittern. „Was ist denn?" fragte
der kleine Mann.
„Trembler, würden Sie mir einen Gefallen tun?"
„Was denn?"
„Ich - " sie wußte nicht, wie sie sich ausdrücken sollte. „Trembler,
Sie wissen doch, was passiert ist, als ich mit Fred zu der Opiumhöhle
gegangen bin?"
    „Ja. Du hast es uns gesagt. Warum? Du willst doch nicht wieder da
hingehen?"
„Nein. Das muß ich gar nicht. Ich hab Opium hier... Als Mr.
Bedwell mich gebeten hat, welches zu besorgen, da hab ich -- also da
hab ich ein bißchen dabehalten. Ich hab gewußt, daß ich da noch mal
durch muß. Ich hab mich dafür gewappnet. Wenn ich's nicht mache,
weiß ich auch nicht, worauf Mrs. Holland so scharf ist. Ich

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