Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
unter meiner Obhut, also werden Sie sich gefalligst nach mir richten! Sie werden einsehen müssen, dass ich am besten weiß, was gut für Jella ist.«
»Das wissen Sie nicht!«, entgegnete Jella heftig. »Sonst würden
Sie mich meinen eigenen Weg gehen lassen. Ich kann genauso viel leisten wie jeder Mann. Mein Abitur habe ich schließlich mit Auszeichnung bestanden. Soll ich das alles umsonst getan haben?«
Der alte Baron schüttelte ungehalten den Kopf. »Nichts wird umsonst gewesen sein! Du sollst deine Ausbildung haben. Ich habe bereits Vorkehrungen getroffen. Wenn du es unbedingt willst, dann darfst du das Lehrerinnenseminar des Lette-Vereins besuchen. Allerdings...«, er machte eine kurze Pause, »... wirst du selbstverständlich niemals den Beruf der Lehrerin ausüben. Schließlich wirst du eines Tages Baronesse oder gar Gräfin sein und den Familienbesitz erben. Während du dich deiner Ausbildung widmest und hoffentlich auch Nützliches für dein zukünftiges Zuhause erlernst, werde ich die Zeit nutzen, dir einen passenden Bräutigam zu finden.«
Jella verschlug es die Sprache. Sie schnappte ungläubig nach Luft. »Einen Bräutigam?«, brachte sie schließlich hervor. »Aber ich beabsichtige keineswegs, in nächster Zeit zu heiraten! Außerdem... was soll ich bei dem Lette-Verein, der ohnehin nicht mehr als eine Hausfrauendrillanstalt ist, wenn ich nicht einmal Lehrerin sein darf?«
»Potzblitz«, donnerte der alte Herr los. Jella hatte ihn wieder einmal aus der Fassung gebracht. Er war maßlos empört. »Du wirst heiraten, und zwar ohne Wenn und Aber! Es wird ohnehin schwer genug werden, für dich einen passenden Kandidaten zu finden, der sich bereit erklärt, die uneheliche Tochter eines Barons zu nehmen. Basta!«
Seine laute, befehlsgewohnte Stimme vibrierte eine geraume Zeit im Raum nach. Rachel wagte es dennoch, seine Autorität in Frage zu stellen.
»Da habe ich wohl auch noch ein Wort mitzureden, Baron«, warf sie mit leiser, aber fester Stimme ein. »Schließlich bin ich immer noch ihre Mutter. Sie sollten wenigst...«
»Halten Sie Ihren Mund, Sie unverschämte Person!«, unterbrach der Baron ungehalten ihr Wort. »Sie vergessen, dass Sie in meiner Schuld stehen! Ich habe dem Kind meinen Namen gegeben.«
Rachel zuckte wie ein geprügelter Hund zusammen und schwieg. Jella hatte es fast das Herz zerrissen, weil der Großvater ihre Mutter vor ihren Augen so demütigte. Gleichzeitig wuchs ihr Zorn.
»Wie können Sie es wagen, so mit meiner Mutter zu reden?«, schnaubte sie empört. »Außerdem haben Sie kein Recht, über mich zu bestimmen. Ich bin weder Ihr Dienstpersonal noch ein Stück Vieh, das man verschachern kann! Jeder Mensch hat das Recht auf seine eigene Meinung. Sie werden mich zu nichts zwingen, weil...«
Der Großvater beendete ihre Rede mit einer wütenden Handbewegung. Drohend schob sich sein Kinn nach vorn, während seine andere Hand über den grau gezwirbelten Kaiserbart strich. Er war kurz davor zu explodieren. »Weil was?«, fragte er schneidend. »Weil ich euch sonst hinauswerfe? Das würde dir nämlich blühen, wenn du nicht gehorchst. Ich dulde keine Widerrede mehr! Hast du mich endlich verstanden?«
Jella erwiderte unerschrocken seinen Blick, was ihn noch mehr aufbrachte. »Du bist ganz einfach nicht in der Position, irgendetwas zu entscheiden«, polterte er los. »Als uneheliches Kind bist du eine Last. Du machst dir keinerlei Vorstellungen, wie schwer es für mich sein wird, dich vernünftig und standesgemäß unter die Haube zu bringen. Dazu benötige ich Zeit. Deswegen und allein deswegen erlaube ich dir, das Lehrerinnenseminar zu besuchen.« Mit diesen Worten hatte er sich umgedreht und grußlos den Raum verlassen.
Die Worte »Last« und »uneheliches Kind« waren wie ein Richtbeil über Jella und ihrer Mutter im Raum hängen geblieben. Dieses Mal hatte es der alte Herr zu weit getrieben. In diesem Augenblick
war Jella bewusst geworden, dass der Großvater sie nur aufgenommen hatte, um sie und ihre Mutter dafür leiden zu lassen, dass Johannes auf seinen Titel und sein Erbe verzichtet hatte und stattdessen als freier Mensch nach Deutsch-Südwestafrika gegangen war. Für den Großvater war sie nichts anderes als eine Schachfigur, die er nach seinem Belieben und entsprechend seiner Taktik über das Brett ziehen konnte. Und das konnte und wollte sie sich nicht länger gefallen lassen. Und sie wollte auch nicht, dass ihre Mutter noch länger unter dem Tyrannen litt.
Es
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