Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
schmalen Treppenaufgang kam und die ausgetretenen Stufen hinauf zur Wohnung der Schmodde stieg.
Jella pustete eine der widerspenstigen, kupferroten Locken aus ihrem Gesicht und klemmte sie hinter ihr Ohr. Erst dann zog sie entschlossen an dem Klingelzug neben der Tür. Eine Zeit lang tat sich gar nichts. Dann hörte sie Keuchen und Stöhnen, begleitet vom Schieben und Rücken eines schweren Holzmöbels. Jella konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sie stellte sich vor, wie Lies Schmodde ihren eingepressten Nilpferdhintern aus dem Ohrensessel zwängte, um dann mit schwerfälligem Schlurfen zur Tür zu ächzen. Das Drehen des Schlüssels im Türschloss verriet ihr, dass die Alte es geschafft hatte. Wie üblich öffnete sie die Tür
nur einen Spalt weit und linste mit ihren wässrig blauen Augen hinter eingehängter Kette auf den Gang hinaus.
»Dat Jettchen!«, rief sie mit ihrer öligen Stimme. »Dat wurde aber auch Zeit!«
»Mein Name ist Jella, nicht Jettchen«, korrigierte Jella verärgert. Lies Schmodde wusste genau, wie ihr richtiger Name lautete. Es bereitete ihr immer wieder ein diebisches Vergnügen, aus dem irischen Namen Jella den Berliner Namen Jette zu machen.
»Nu mecker ma nich rum; komm lieber mal rinne!« Die Schmodde löste die Kette und öffnete die Tür. Bevor Jella etwas erwidern konnte, zog sie sie in die Wohnung hinein und schloss sofort hinter ihr wieder ab. Lies Schmodde war von Haus aus misstrauisch. Sie war eine Art Maklerin, die im Auftrag von Großhändlern genähte Waren wie Malerkittel, Kindermäntel, Pelerinen und anderes besorgte und dann gewinnträchtig weiterverkaufte. Während sie den Frauen, die für sie nähten, einen Hungerlohn von sieben Pfennig pro Stunde bezahlte, machte sie beim Verkauf an den Großhändler das Zehnfache an Gewinn, ohne auch nur einen Handstreich dafür tun zu müssen. Jella vermutete, dass sie eine Menge Geld im Haus versteckt hatte und aus gutem Grund fürchtete, beklaut zu werden. Nicht zu Unrecht, denn der Krögel steckte voller Gauner und Habenichtse. Jella hatte sich schon oft gefragt, warum die Schmodde und ihr Sohn Olaf nicht schon längst in ein besseres Viertel gezogen waren. Vermutlich hatte es damit zu tun, dass Olaf und sie hier im Krögel ein festes Netzwerk an Dieben, Betrügern und Schurken, wie sie selbst welche waren, besaßen. Schmoddes Pomade liebender Sohn war schon mehrere Male mit der Polizei in Konflikt geraten. Es ging das Gerücht, dass er dem Glücksspiel verfallen war und seine Schulden auf so dubiose Weise wie durch Einbrüche und Erpressungen beglich. Hier im Krögel war er relativ sicher, denn es gab immer jemanden, der ihm ein Alibi
verschaffte. Außerhalb des Kiez wäre das wohl kaum möglich gewesen.
»Nun stell deinen Korb mal rasch hinten in den Salon«, forderte die Schmodde Jella auf. »Warum bist du denn nicht früher gekommen?«, meckerte sie. »Der Bolle wollte die Lieferung schon viel eher haben. Jetzt macht er mir womöglich noch’nen Abzug!«
Beim Wort »Abzug« zuckte Jella unwillkürlich zusammen. Es war nicht nur Lies Schmoddes absolutes Lieblingswort, sondern sie setzte es auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit in die Tat um.
»Wir haben uns alle Mühe gegeben«, versuchte sie sich zu rechtfertigen. »Aber meine Mutter ist noch krank. Es geht ihr einfach nicht besser. Sie braucht dringend Medizin!« Jella spürte einen Kloß im Hals. Die Sorge um ihre Mutter machte ihr schwer zu schaffen. Rachel war schon viel zu lange krank. Die schimmelige Wohnung, der Moder und die ständigen Geldsorgen zehrten an ihrer Gesundheit.
»Dann musst du halt schneller arbeiten!« Lies Schmodde sah Jella aus ihren kleinen Augen herausfordernd an. »Aber Madamchen hat ja Abitur. Da macht man seine Finger nicht so gern krumm, was?«
»Das hat damit überhaupt nichts zu tun!«, brauste Jella auf. »Ich arbeite schnell und gut!«
Lies Schmodde grinste selbstzufrieden. Sie liebte es, zu sticheln und zu allem ihren Senf dazuzugeben. »Wenn ich deine Mutter wäre, dann hätte ich dir das mit dem Abitur nie erlaubt. Das bringt nur Flausen in die Köpfe. Wirt schon sehen, wohin dich das führt - in die Gosse und sonst nirgendwohin!«
Jella ballte insgeheim ihre Hände zu Fäusten. Am liebsten hätte sie der Schmodde eine gepfefferte Antwort gegeben. Aber dann fiel ihr wieder der schmutzige Malerkittel ein, und sie bezwang ihre Gefühle. Sie begnügte sich stattdessen mit einem finsteren Blick.
»Könnten wir dann mal
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