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Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari

Titel: Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Mennen
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hatte nur wenig Überzeugungskraft gekostet, ihre Mutter zu überreden. Wenig später hatten sie die prachtvolle Villa am Tiergarten verlassen. Mit dem wenigen Geld, das sie besaßen, hatten sie sich am Schlesischen Bahnhof im Keller eines heruntergekommenen Mietshauses ein Zimmer gemietet und verdienten seither ihr Geld mit Näharbeiten.
     
    Jella wischte die Erinnerung beiseite und genoss den zarten Windhauch, der am Ende der Brücke leise über ihr Gesicht strich. Vor ihr lagen die finsteren, dampfigen Gassen des Krögel, jenem baufälligen Viertel von Berlin, in dem seit Jahrhunderten die Ärmsten der Armen wohnten. Hier gab es weder fließendes Wasser noch eine Straßenbeleuchtung, geschweige denn Aborte, die die Fäkalien in die Abwasserkanäle geleitet hätten. Die Rinnen der Gassen waren selbst im Sommer feucht und rochen nach den Inhalten der Nachttöpfe, die einfach aus den Fenstern der Häuser entleert wurden. Jella überkam ein fröstelndes Erschauern, als sie das dunkle Viertel betrat. Ihr Zimmer in der Andreasstraße war schon armselig genug, aber das Krögel war noch viel heruntergekommener. Die schmutzig graugelben Häuser waren so eng aneinandergebaut, dass sich ihre Giebel oben fast berührten. Ein kleiner Funke würde genügen, um das ganze Stadtviertel in Brand zu setzen. Sobald Jella in die engen Gassen eintauchte, wurde es dunkel. Noch an
das gleißende Licht der Sonne gewöhnt, hatte sie anfangs Mühe, sich in der Dunkelheit zwischen den Häusern zu orientieren. Für einen kurzen Augenblick war sie wie blind. Das wurde ihr zum Verhängnis. Als sie den angetrunkenen Arbeiter entdeckte, war es bereits zu spät. Unberechenbar wie ein schlingerndes Schiff kam er auf sie zugesteuert. Sie wich aus, er folgte ihr, und schon war es geschehen. Die Heftigkeit ihres Zusammenstoßes brachte Jella aus dem Gleichgewicht. Im letzten Moment gelang es ihr, sich an der Hauswand abzustützen. Dabei entglitt ihr der Wäschekorb. Krachend kippte er auf die Gasse, und die Wäschestücke landeten im Straßenstaub.
    »Trottel!«, stieß Jella aufgebracht hervor. »Können Sie nicht aufpassen?«
    Der Betrunkene lehnte nach dem Zusammenprall an der gegenüberliegenden Hauswand. Er versuchte Jella mit seinen vom Alkohol getrübten Augen zu fixieren. Offensichtlich hatte er Mühe, zu begreifen, was geschehen war. Schließlich stieß er sich von der Wand ab und versuchte, allein zu stehen. Dabei schwankte er wie eine Boje auf der Havel. Statt einer Antwort stieß er einen lauten Rülpser aus.
    »Pass doch selber uff!«, lallte er schließlich und hob zur Bekräftigung seinen Zeigefinger in die Höhe. Dann stolperte er einen Schritt vorwärts, konzentrierte sich dabei auf seine nächsten Schritte und torkelte direkt auf die am Boden verstreuten Malerkittel zu. Jella stieß einen Schrei aus und versuchte gleichzeitig, den Betrunkenen an seiner Jacke zurückzureißen. Vergeblich. Bevor sie ihn erreichen konnte, hatte er bereits auf einem der Wäschestücke zwei deutlich sichtbare Stiefelabdrücke hinterlassen. Jella kämpfte mit ihrer aufsteigenden Wut. Am liebsten wäre sie dem Idioten an die Gurgel gesprungen. Doch das würde den Malerkittel auch nicht wieder sauber machen. Stattdessen stiegen ihr Tränen in die Augen. Drei Wochen harte Arbeit lagen verstreut
in der Gosse herum und waren vielleicht nicht mehr zu gebrauchen. Die Schmodde würde ihr den Hals umdrehen! Bevor noch mehr Schaden entstand, beeilte sie sich mit dem Einsammeln der Wäsche. Sorgfältig legte sie Kittel für Kittel zurück in den Korb. Auf den zweiten Blick war der Schaden nicht so groß, wie sie befürchtet hatte. Der Staub von der Gasse ließ sich abklopfen. Nur ein Malerkittel war durch die Fußabdrücke ernsthaft verschmutzt. Auch das war schlimm genug. Wenn Lies Schmodde das mitbekam, würde es einen ordentlichen Lohnabzug geben. Ganz abgesehen davon, dass sie sich den Vorschuss, den sie für ihre Miete erbitten wollte, gleich ganz aus dem Kopf schlagen konnte. Es war zum Verzweifeln. Sie musste einen Ausweg finden. Vielleicht übersah die Zwischenhändlerin den verschmutzten Kittel ja! Jella legte ihn sorgfältig zusammen und schob ihn ganz unten in den Korb. Wütend ballte sie die Faust in Richtung des Betrunkenen. Dann setzte sie ihren Weg fort, vorbei an den Werkstätten und Remisen, von deren Mauern der Putz abbröckelte. Weiter in die dunklen Hinterhöfe, in denen die Mülleimer überquollen, bis sie schließlich zu einem düsteren,

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