Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
Warzenschwein mit erhobenem Pinselschwanz und zwei gewaltigen, elfenbeinweißen Warzenschweinhauern. Links neben der Eingangstür befand sich noch eine halb geöffnete Tür, die den Blick in ein etwas kleineres, aber immer noch geräumiges Arbeitszimmer gestattete. Ein schwerer, dunkler Eichenholztisch, der seiner Machart nach zu schließen ebenfalls aus Deutschland stammen musste, stand in seinem Zentrum. Vor dem Schreibtisch lag das Fell eines Zebras. Jella wollte gerade nachsehen, ob jemand in dem Zimmer war, als sie hinter sich ein Geräusch hörte.
»Was wollen Sie hier?«, fragte eine schneidende Frauenstimme. Sie klang hoch, fast schrill, und alles andere als freundlich. Jella drehte sich auf dem Absatz um und sah in das Gesicht einer mittelgroßen, schlanken Frau, die nicht viel älter als sie selbst sein konnte. Ihre hellblonden Haare waren zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckt, die für das Farmleben nicht gerade praktisch zu sein schien. Das eng geschnürte, elegante schwarze Kleid schien ebenso wenig in diese Umgebung zu passen wie das sorgsam gepuderte Gesicht. Jella war völlig überrascht. Das Letzte, womit sie gerechnet hatte, war, einer so jungen Frau gegenüberzustehen.
»Ich... ähm... ich möchte gern Johannes von Sonthofen sprechen«, stammelte sie verlegen. Plötzlich kam sie sich ziemlich lächerlich und unverschämt vor.
»In welcher Angelegenheit, wenn ich fragen darf?« Die fremde Frau zog kritisch eine Augenbraue hoch und musterte Jella abfällig, so als erwöge sie, sie sofort wieder aus dem Haus werfen zu lassen.
»Es ist etwas Privates.« Jella hatte sich mittlerweile wieder einigermaßen gefangen. Sie fixierte ihr Gegenüber mit festem Blick, schluckte kurz und sagte: »Ich bin Johannes von Sonthofens Tochter.«
Ein kurzes Blitzen in den eisblauen Augen ihres Gegenübers und eine gewisse Blässe unter dem gepuderten Gesicht ließen Jella die Überraschung spüren. Doch die Frau hatte sich sofort wieder im Griff. Ein starres, zweifelndes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
»Das, wenn Sie entschuldigen, möchte ich allerdings in aller Offenheit bezweifeln«, meinte sie kalt. »Johannes hat mir nie von einer Tochter erzählt.«
»Johannes?« Jella fühlte sich unangenehm berührt, als sie die fremde Frau so vertraut von ihrem Vater sprechen hörte.
»Ja, Johannes!«
»Ich bin seine Tochter. Und ich kann es auch beweisen.« Jella griff in ihre Handtasche und zog die Briefe ihres Großvaters und ihrer Mutter hervor. »Hier ist alles dokumentiert.« Sie reichte der Frau die Briefe, und die überflog sie widerwillig. Noch während sie las, veränderte sich ihre Haltung. Über ihr Gesicht huschten Schatten, die Jella als Zeichen von Bestürzung interpretierte. Schließlich zeigte die Frau so etwas wie eine erzwungene Freundlichkeit. Mit einer knappen Geste bat sie Jella, auf einem der Korbstühle vor dem Kamin Platz zu nehmen.
»Bitte entschuldigen Sie meine Nachlässigkeit«, meinte sie steif. »Ich werde Ihnen sofort etwas zu trinken bringen lassen.« Sie rief nach einer Angestellten namens Nancy und befahl ihr, ihnen eine Karaffe mit Wasser und etwas Tee zu bringen.
»Darf ich fragen, wer Sie sind?«, fragte Jella, nachdem sie etwas Tee gekostet hatte. »Sie machen den Eindruck, als würden Sie meinen Vater recht gut kennen.«
»In der Tat.« Die Frau zögerte einen Moment und zog dann betont langsam ein Taschentuch aus ihrer Rocktasche, mit dem sie sich die Augen betupfte. »Ich kannte Johannes sehr gut.«
»Kannte?« Jella überkam ein leichter Schwindel. Sie hatte das plötzliche Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Sie
musste sich verhört haben. Aber die nächsten Worte trafen sie wie ein Schwall Wisser - hart, kalt und völlig unvorbereitet.
»Johannes von Sonthofen ist tot«, schluchzte die Frau trocken. Mechanisch betupfte sie sich mit dem Taschentuch das Gesicht. Jella wurde starr wie ein Stock.
»Das stimmt doch nicht«, hauchte sie entsetzt. »Das kann einfach nicht wahr sein.«
»Natürlich ist es wahr!« Die Stimme der Frau klang plötzlich noch höher und überschlug sich fast. »Keiner weiß es besser als ich. Schließlich bin ich seine Frau!«
»Seine Frau?« Die zweite Nachricht traf sie genauso unvermittelt hart wie die erste. Jella starrte ihr Gegenüber entsetzt an. Sie hatte mit allem gerechnet, auch damit, dass ihr Vater sich eine andere Frau genommen hatte, eine, die vielleicht ihrer Mutter ähnlich war. Aber diese Person
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