Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
selbstbewusst und fühlten sich offensichtlich als etwas ganz Besonderes. Sofort richteten sie sich im Achterdeck ein, spannten eine Persenning auf und verstauten dort ihre wenigen Habseligkeiten. Jella, die zum ersten Mal eine größere Gruppe Afrikaner sah, war fasziniert von ihrer unbeschwerten, offenen Art, die nichts mit dem traurigen Zustand der Hottentottengruppe zu tun hatte, der sie in Berlin begegnet war. Ein selbstbewusster Mann um die dreißig
war ihr Anführer. Sein Name war Josuah. Unter der Nase trug er die typische Tätowierung, die ihn als Angehörigen dieser Gruppe auszeichnete. Wie alle Krus gehörte er zum Volksstamm der Mandingos, die schon seit Jahrhunderten im Hinterland das Sagen hatten. Seiner natürlichen Autorität war es zu verdanken, dass er seine Truppe unter Kontrolle hatte, ohne große Befehle geben zu müssen. Zu der Heuer der Krus gehörte auch eine abendliche Ration Rum. Die Männer nahmen sie für gewöhnlich unter ihrer Persenning ein und sangen alsbald melodisch klingende Lieder, die für die europäischen Ohren an Bord fremd und abenteuerlich klangen. Jella verstand kein Wort, aber sie spürte, dass die Lieder die Krus an ihre Heimat erinnern sollten, der sie nun für einige Wochen fernblieben. Die meisten Passagiere beobachteten die dunkelhäutigen Männer mit einer Mischung aus Faszination und teilweise offen gezeigter Abneigung und Arroganz. Die schwarzen Männer schienen ihnen unheimlich und fremd und passten so gar nicht in ihr deutsches Weltbild. Außerdem konnten sich die wenigsten mit ihnen verständigen, da sie nur ein recht eigenwilliges Englisch sprachen und kein Wort Deutsch. Für Jella bot sich bald die Gelegenheit, ihre Muttersprache auszuprobieren. Eines Morgens beobachtete sie Josuah, wie er mit einem der Passagiere aus der zweiten Klasse sprach. Der Kru redete gestenreich auf den elegant gekleideten Mann ein und versuchte offensichtlich, ihm etwas klarzumachen. Der Angesprochene schüttelte bedauernd den Kopf und zuckte mit den Schultern. Jella interpretierte es so, dass er den Kru schlichtweg nicht verstand, und gesellte sich zu den Männern, um ihnen ihre Hilfe anzubieten.
»Kann ich Ihnen vielleicht bei Ihrer Konversation behilflich sein?«, fragte sie höflich. »Meine Mutter war Irin. Ich spreche daher englisch und könnte vielleicht vermitteln.«
Der Passagier, ein hochgewachsener Mann von vielleicht dreißig Jahren, wandte sich ihr überrascht zu. Jella hatte noch nie in
ihrem Leben so schwarze, eindringliche Augen gesehen. Als sich ihre Blicke kreuzten, beschleunigte sich für einen Augenblick ihr Herzschlag. Verwirrt wandte sie die Augen ab. Seine tiefe Stimme klang freundlich, wenn auch höflich distanziert, als er antwortete:
»Danke für das freundliche Angebot, aber eigentlich komme ich in der Regel ganz gut allein zurecht. Zudem bin ich Bure und spreche ebenfalls englisch. Was den Kru und mich trennt, sind weniger unsere Sprachschwierigkeiten als vielmehr unsere Einstellungen gewissen Dingen gegenüber.«
Jella kam sich wie ein kleines Mädchen vor. Ihre voreilige Art hatte sie wieder einmal in eine peinliche Situation gebracht. Dennoch fasste sie sich schnell und versuchte dem Mann mit einem entschiedenen Blick zu begegnen.
»Dann bitte ich vielmals um Verzeihung. Ich wollte keineswegs aufdringlich erscheinen.«
Mit erhobenem Kopf wandte sie sich ab und ging wieder zu ihrer Freundin Lisbeth hinüber, die die Szene aus der Distanz beobachtet hatte.
»Das war ja ein kurzes Gespräch«, spottete sie. Jella fuchtelte genervt mit der Hand durch die Luft.
»Vergiss es«, meinte sie scheinbar leichthin. »Ich wollte nur helfen und habe mir dabei eine saftige Abfuhr geholt.« Sie griff nach ihrem Buch und setzte sich auf einen der Liegestühle, um zu lesen. Lisbeth leistete ihr eine Weile Gesellschaft, bevor sie sich wieder in ihre Kabine zurückzog.
Etwa eine halbe Stunde später trat der fremde Passagier mit einem Becher dampfendem Kaffee zu ihr. Wie selbstverständlich nahm er neben ihr auf dem frei gewordenen Liegestuhl Platz und reichte ihr das heiße Getränk. Jella runzelte erstaunt die Stirn.
»Nehmen Sie«, forderte er sie auf. »Er ist frisch aufgebrüht.«
Jella zierte sich erst, doch dann nahm sie den Becher bereitwillig
entgegen. Der heiße Kaffeeduft stieg ihr verführerisch in die Nase.
»Wie komme ich zu der unverhofften Ehre?«, fragte sie keck. Tatsächlich hatte sie seit ihrer Abreise aus Berlin keinen ordentlichen
Weitere Kostenlose Bücher