Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
ich.«
»Waren Sie denn schon mal auf hoher See, dass Sie das so genau wissen?«, fragte Jella kritisch. Gefreiter Knorr schüttelte energisch den Kopf.
»Das zwar nicht. Aber wie Sie ja bereits wissen, haben Sie hier den persönlichen Assistenten des Expeditionsleiters der ›Gazelle‹ vor sich. Aus reichhaltigen Schilderungen habe ich den Schluss gezogen, dass ich absolut seefest sein muss.«
Er strich sich über seinen schwarzen Schnauzbart und zog dabei auf seine unnachahmliche Art den Rotz in seiner Nase hoch.
»Aber Sie...« Er musterte Jella von oben bis unten. Dann schüttelte er den Kopf, so als könne er in die Zukunft sehen. »... was Ihre Seefestigkeit angeht, da bin ich mir gar nicht so sicher. Sie sollten sich rechtzeitig hinlegen.«
»Jetzt hören Sie aber mal mit Ihrer Unkerei auf«, erwiderte Jella ungehalten. »Was Ihre Seefestigkeit betrifft, gratuliere ich Ihnen schon im Vorfeld. Aber jetzt möchte ich meine Ruhe, da ich die mir verbleibende Zeit auf ruhiger See gern ohne Ihre gewagten Mutmaßungen genießen würde.«
Der Gefreite Knorr zuckte kleinlaut zusammen und trollte sich.
»Was war denn das für ein schräger Vogel?«, fragte Lisbeth und schaute dem kleinen Knorr amüsiert hinterher. »Der sieht ja aus wie sein eigener Nussknacker.«
Jella lachte. »Der ist schon in Ordnung. Manchmal glaube ich, dass er mein Maskottchen für Afrika sein könnte. Weißt du, er geht genauso blauäugig auf die Reise wie ich. Wir beide haben keine Ahnung, was uns am Ende erwarten wird. Aber Schluss damit. Erzähl mir doch noch ein bisschen mehr von Afrika...« Lisbeth kam Jellas Aufforderung nur zu gern nach. Ihr gefiel die Neugier ihrer neuen Freundin, die jede noch so kleine Information wie
ein Schwamm in sich aufsog. Jella fand es besonders spannend, als Lisbeth über die Stellung der weißen Frauen in Afrika erzählte. Ihrer Meinung nach gab es dort längst nicht so viele Vorbehalte gegenüber Frauen wie im Deutschen Reich. In Afrika schätzte man es, wenn eine weiße Frau tatkräftig war und ihre eigenen Ideen und Ziele verfolgte.
»Du wirst sehen, eines Tages wird es in Windhuk sogar eine Universität geben, wo Frauen alles studieren können, was sie wollen!«, endete sie mit einem Augenzwinkern. Jella hörte es nur zu gern. Vielleicht würden ihre Träume ja doch noch wahr werden.
In der Nacht frischte der Wind tatsächlich auf und entwickelte sich zu einem ausgewachsenen Sturm. Die grauen Wellen bekamen weiße Schaumkronen und schlugen hart gegen den metallenen Schiffsrumpf. Der Rauch, der sonst gleichmäßig aus den beiden Schornsteinen stieg, legte sich quer und machte einen Aufenthalt an Deck eigentlich unmöglich, wollte man nicht hinterher schwarz wie ein Mohr aussehen. Wie ein Spielball begann das Schiff auf und ab zu stampfen und dann auch noch zu schlingern. Lisbeth wurde erst bleich, dann quittengelb und schließlich giftgrün, bevor sie mit einem leisen Aufschrei nach draußen stürmte, um sich zu übergeben. Sie war nicht die Einzige. Jella war es auch schon bald nicht mehr wohl. Sie spürte einen Knoten in ihrem Magen und bekam ein flaues, ungutes Gefühl. Dennoch gehörte sie zu den wenigen Menschen an Bord, die nicht wirklich seekrank wurden. Lisbeth und die anderen leidenden Passagiere zogen sich in ihre Kojen zurück und litten jammernd vor sich hin, neben sich die ausgeteilten Spuckwannen. Bei einigen war die Seekrankheit so ausgeprägt, dass man sie sogar ans Bett fesseln musste, um zu verhindern, dass sie in einem unbeobachteten Moment aus lauter Qual über Bord sprangen. Zu denjenigen, die es besonders schwer getroffen hatte, gehörte auch der Gefreite
Knorr. Jella traf erneut auf ihn, weil sie sich freiwillig dazu gemeldet hatte, die Spucknäpfe zu leeren und die Leidenden mit dem Nötigsten zu versorgen. Der Schutztruppengefreite lag wie ein kümmerliches Häufchen Elend auf seinem Bett und wimmerte wie ein kleines Kind.
»Ich werde sterben, Fräulein Jella«, behauptete er mit weinerlicher Stimme. »Afrika wird ohne meine großen Erfahrungen und Taten auskommen müssen.«
Jella schüttelte mitfühlend den Kopf und lächelte zuversichtlich. »Sie werden heute nicht sterben und morgen auch nicht. Und was Afrika anbetrifft, so bin ich überzeugt davon, dass Sie dort einmal eine ganz große Tat begehen werden.«
Über Knorrs Gesicht huschte trotz seiner Qualen kurz ein strahlendes Lächeln. »Wollen Sie mich heiraten?«, fragte er.
Der Sturm hielt über mehrere
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